6 Fragen an… Claudia Gerstner, freie Beraterin, Beratungsstelle Barrierefreiheit BYAK

Dipl.-Ing. Claudia Gerstner ist bdia Innenarchitektinnen und als freie Beraterin für den Bereich Planen und Bauen in der Beratungsstelle Barrierefreiheit der Bayerischen Architektenkammer tätig.
1. Seit wann Sind Sie als Beraterin bei der BYAK tätig und wen beraten Sie?
Die Beratungsstelle Barrierefreiheit der BYAK berät – gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration – seit vielen Jahren zur Barrierefreiheit. Seit Januar 2019 bin ich Teil des freiberuflich tätigen Expertenteams der Beratungsstelle und aufgrund meines Standortes für die Region Nürnberg/Augsburg/Ingolstadt tätig. Darüber hinaus beraten alle freiberuflichen Berater*innen, wir sind insgesamt 20 Personen mit unterschiedlicher Fachexpertise, bayernweit auch telefonisch und über Videokonferenzen, nehmen an Messen teil, halten Vorträge und Schulungen.
Wir bieten eine kostenfreie Erstberatung zu allen Fragen für ein barrierefreies Leben in den Themenbereichen: Planen und Bauen, Fördermöglichkeiten, digitale Barrierefreiheit, leichte Sprache und unterstützte Kommunikation. Für die beiden zuletzt genannten Themen kooperiert die Beratungsstelle mit der Stiftung Pfennigparade und der Caritas in Augsburg (CAB). Mein Beratungs-Schwerpunkt ist der Bereich des Planens und Bauens. Die Anfragenden sind Architekt*innen und Fachplaner*innen, Bauträger, Kommunen, Institutionen, Privatpersonen sowie Betroffene.
2. Mit welchen Herausforderungen werden Planer*innen beim Barrierefreien Bauen konfrontiert?
Die Kolleg*innen sollten sich bereits zu Beginn einer Aufgabe informieren, in welchem Umfang Barrierefreiheit gewünscht, gefordert oder einfach nötig ist und was das für das Bauvorhaben in der Entwicklung bedeutet. Das mag für manche befremdlich sein, schützt aber vor Fehlern, die später nicht mehr so leicht ausgebessert werden können. Wir müssen unsere Auftraggeber dahingehend qualifiziert beraten. Barrierefreiheit benötigt beispielsweise in manchen Bereichen für die Bewegungsflächen einfach mehr Platz.
Allerdings muss man sich immer vor Augen halten, dass nicht nur Rollstuhlfahrer Barrierefreiheit benötigen, sondern viele Menschen – mit oder ohne Einschränkungen – auch.
Wir befinden uns sozusagen in einem Prozess zu einer immer besseren, barrierefreien Umwelt.
3. BGG, LBO, DIN-Normen – das Regelwerk ist umfassend. Welche dieser Normen sind für Planer*innen bindend beim Barrierefreien Bauen?
Im Grundgesetz steht unter Art. 3 Abs. 3 Satz 2: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Das Behindertengleichstellungsgesetz regelt und definiert die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen.
Die Bauordnungen der Länder setzen die Anforderungen an bauliche Barrierefreiheit fest. Also bei welchen Bauvorhaben und in welchem Umfang Barrierefreiheit hergestellt werden muss. In der Regel betrifft dies Vorhaben, für die ein bauordnungsrechtliches Verfahren notwendig ist. Die Anforderungen gelten also nicht aus sich heraus.
Verbindlich sind die sogenannten „eingeführten technischen Baubestimmungen“, diese sind in den Bundesländern im Umfang unterschiedlich geregelt. Die Haupt-Normen DIN 18040-1 und -2 sind in allen Bundesländern in wesentlichen Teilen eingeführt. Darüber hinaus gibt es durchaus eine Vielzahl weiterer Verordnungen und Bestimmungen, die zu beachten sind.
4. Kommen bei dem mannigfaltigen Regelwerk nicht die Gestaltung und Ästhetik zu kurz?
Ich empfehle, dies einfach als spannende Aufgabe zu betrachten, die uns Architekt*innen und Planer*innen zu bester gestalterischer Leistung herausfordert. Regeln sind zugleich Qualitätsmaßstab und sorgen für ein gemeinsames Verständnis, was gerade dort, wo Kompromisse notwendig sind, z.B. bei Bestandsumbauten, sehr wichtig sein kann.
5. Welches Projekt hat Sie zuletzt aufgrund seiner hervorragenden Verschmelzung von Funktion und Ästhetik beeindruckt?
Zuletzt haben mich auf einer Veranstaltung zwei vorgestellte Projekte begeistert. Einerseits das inklusive und integrative Hotel einsmehr in Augsburg. Ich habe es selbst bereits besucht und kenne das Angebot. Das zweite Projekt ist der barrierefreie Baumwipfelpfad im Nationalpark Bayerischer Wald. Ein Besuch dort steht auf jeden Fall auf meiner ToDo-Liste.
6. Wo kann ich mich als Innenarchitekt*in informieren?
Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu informieren. In Bayern kommen die Kolleg*innen einfach auf die Beratungsstelle zu. Die Architektenkammern der Länder bieten ebenso vielfältige Schulungsangebote. Wir Innenarchitekt*innen sollten uns mit dem Thema auseinandersetzen, denn der Wissenstand ist in Abhängigkeit des Tätigkeitsschwerpunktes durchaus unterschiedlich.