Arbeit, Leben und Sinn

Studien zufolge erhöhen Schönheit und Attraktivität der direkten Arbeitsumgebung bei 35 Prozent der Mitarbeiter*innen Arbeitsmoral und Engagement. Flächenminimierung mit maximierter Funktionsstruktur ist immer noch ein Planungsziel, aber eben nur eins von vielen, wenn wir bedenken, was wir von Büroflächen heute erwarten: Neben einem intelligenten und effizienten Umgang mit Flächen und Funktionen brauchen wir Helligkeit und Licht, Offenheit, Klarheit, Modernität, gute Proportionen, Flexibilität und Vielfalt, eine Vielzahl von Medien, Orte für Zusammenarbeit und konzentrierte Rückzugsbereiche, an denen wir uns generationsübergreifend wohlfühlen.

Untrennbar: Raum und Wohlbefinden

Wir wissen, dass wir ohne das richtige Licht weder richtig wach und fokussiert noch produktiv sind. Licht ist sowohl ein elementares Gestaltungsmittel der Architektur als auch Auslöser komplexer fotobiologischer Prozesse in unserem Körper. Das richtige Licht verbessert das Farb- und Kontrastsehen, das räumliche Sehen, entspannt die Augen und beugt Ermüdung vor. Licht ist der Taktgeber für unseren Biorhythmus. Er folgt der sich im Tagesverlauf verändernden Lichtqualität und -Intensität. Zu viel Licht und zur falschen Zeit kann unserem Körper genauso schaden, wie zu wenig davon. Und Helligkeit allein reicht auch nicht aus, die Zusammensetzung des Lichtes ist ebenso entscheidend. Die Bedeutung des Lichtes am Arbeitsplatz und für unsere Gesundheit wird besonders deutlich, wenn wir die Verlängerung unserer täglichen Aufenthaltszeiten in geschlossenen Räumen berücksichtigen: Nicht einmal mehr 10 Prozent unserer Wachzeit verbringen wir noch unter freiem Himmel. Es mangelt uns daher nicht nur an natürlichem Licht, sondern auch an frischer, sauberer Luft.

Analoger Ausgleich gegen das digitale Rauschen

Und es fehlt uns auch Bewegung. Im Gehen formen sich unsere Gedanken. Unser Körper ist für den aufrechten Gang konzipiert. Bis ins 19. Jahrhundert gingen Männer am Tag ca. 19 Kilometer zu Fuß, Frauen ca. neun Kilometer. An guten Tagen gehen wir heute durchschnittlich nur noch 500 Meter. Wir verstehen Körper und Geist inzwischen als Einheit, trotzdem gehen wir viel zu wenig und sitzen viel zu viel. Lange galt ein Arbeitsplatz als ergonomisch perfekt, an dem wir mit minimaler Bewegung und möglichst im Sitzen alles Notwendige erreichen konnten. Nicht nur für die körperliche Gesundheit, für unsere Rücken und Gelenke ist die Integration von Bewegungsreizen in die Innenarchitektur wichtig. Es ist die Bewegung an sich und der unerwartete, ungeplante informelle Austausch im Irgendwo-Dazwischen, der Impulse gibt, uns auf neue Gedanken und auf Lösungen bringt.

Ebenso ist es wichtig, die Ausstrahlung nach innen und außen zu verstärken und die Unternehmensvision erkennbar abzubilden. Auch wenn z.B. extrovertierte Mitarbeiter*innen andere Bedürfnisse an die Arbeitsumgebung haben als ihre introvertierten Kolleg*innen, weiß jeder aus eigener Erfahrung, wie sehr das Erleben von Stimmigkeit, Zusammenhängen und Harmonie in Architektur und Raum die Wahrnehmung vertieft, entspannt, konzentriert und zufrieden, produktiv und glücklich macht.

Die Unternehmensidentität selbst ist der Schlüssel zur gestalterischen Einzigartigkeit. Wir animieren unsere Bauherren in einem kreativen Prozess, die eigene Identität und die eigenen Ziele zu reflektieren. Wenn Unternehmensinhalte baulich gespiegelt werden und ausstrahlen, festigen und definieren sich Unternehmen authentisch. Die Originalität individueller Architektur sichert einen hohen Wiedererkennungswert und verleiht der Selbstdarstellung starke Außenwirkung.

Jaques Tati zeigt in seinem grandiosen Film „Playtime“ von 1967, wie das moderne Leben den Einzelnen ständig in seltsame Verhaltensweisen zwingt und von anderen Menschen isoliert. Am Ende finden dann aber doch alle zueinander, gewinnen ihre Unbeschwertheit zurück und erobern mit ihrer Lebensfreude den modernen öffentlichen Raum.

Diese Umkehrung nimmt auch die Entwicklung vorweg, Arbeitszeit heute als sinnstiftende Lebenszeit zu verstehen. Arbeit soll neben der Sicherung des Lebensunterhaltes Spaß machen, soziale Interaktion beinhalten, persönliche Identifikation und Möglichkeiten zur Selbstentfaltung bieten und als sinnvoll empfunden werden können. Das braucht eben diese Räume: individuell und einzigartig, offen, flexibel, vielfältig, ebenso wie funktional und intelligent.

Wenn wir das Paradigma des stetigen Wirtschaftswachstums hinterfragen, wird offensichtlich, dass menschliches Wohlergehen, Gesundheit und soziale Zufriedenheit im Fokus unserer Wirtschaft stehen müssen: Die Zukunft gehört umweltbewussten, menschenfreundlichen und authentischen Unternehmen.

Wencke Katharina Schoger, Innenarchitektin bdia, Büro Reuter Schoger Architektur Innenarchitektur, Berlin.

Der Artikel erschien ungekürzt im bdia Handbuch Innenarchitektur 2019/20.