Arbeitsraum ist Lebensraum
Das große Vorbild und Inspiration für Qualität im „Lebensraum“ ist für mich die Natur. Dass wir in der Natur viel besser lernen und leben, entspannen können und kreativer sind, ist wissenschaftlich längst belegt. Allerdings nicht in jeder Wetterlage – und deshalb haben wir Menschen vor langer Zeit angefangen, unsere Lebensräume in geschützten Räumen zu bauen. „Zurück zur Natur“ versteht sich also auch als ein Aufbruch zu neuen Visionen in der Arbeitswelt! Nirgendwo sollten Elemente, Formen, Farben und Funktionen vielfältiger und besser vernetzt sein als an dem Ort, an dem wir arbeiten. Die Zeit der „Zellenbüros“ für einen oder zwei Mitarbeiter, aufgefädelt an einem langen, unpersönlichen Flur ist nun endlich vorbei. Doch auch die Phase des hochgelobten Großraumbüros, welches ein extremes Gegenteil darstellte, hat nie erfüllt, was erwartet wurde.
Die „neuen Arbeitswelten“
Nach der Glorifizierung des Home Offices sind wir bei den so genannten „neuen Arbeitswelten“ angekommen und können aus Fehlern der Vergangenheit lernen. Neue Arbeitswelten stellen nicht nur neue Anforderungen an die Einrichtung, an die Farben und Formen, sondern auch an die Art und Weise des Arbeitens im Zuge der Digitalisierung, an die Individualität der jeweiligen Berufsbranche und Mitarbeiter.
Jeder Mensch ist einzigartig und benötigt individuelle Rahmenbedingungen, um zufrieden, entspannt und leistungsstark zu sein. Doch es gibt grundlegende Gestaltungsprinzipien, die bei der Planung von Arbeitsplätzen zu beachten sind. Dazu zählen u.a. eine gute Orientierung durch Übersichtlichkeit und Information, entsprechende Helligkeit, angenehme Wärme und reine Luft aber auch gute Kommunikationsmöglichkeiten direkt und digital, kurze Wege, Rückzugsmöglichkeiten, eine unkomplizierte Versorgung mit Speisen und Getränken sowie eine geringe Lärmentwicklung.
Entscheidungsvielfalt kann auch stressen
Manchmal möchten Mitarbeitende zwischen unterschiedlichen Arbeitsplätzen und Arbeitsorten wählen können, die digitalen Arbeitsmittel mitnehmen, um zum Beispiel abgeschirmt oder im Austausch, alleine oder im Team, am Schreibtisch, auf dem Laufband oder an der Kaffee-Bar zu arbeiten.
Auswahlmöglichkeiten zu haben bedeutet, Entscheidungen treffen zu können, sich frei zu fühlen, auch wenn man die Möglichkeiten nicht immer nutzt. Es kann aber auch bedeuten, dass der Lieblingsarbeitsplatz nicht verfügbar ist, da alle die Wahl haben. Oder dass man nicht jeden Tag dieselben vertrauten Kolleginnen und Kollegen antrifft, da diese vielleicht im Home Office sind oder sich an einen abgeschirmten Bereich zurückgezogen haben. Für den einen kann es Stress bedeuten, ein anderer profitiert von der Abwechslung und Vielseitigkeit.
Flexibilität für jeden Einzelnen
Wir brauchen also Freiräume und Flexibilität im Arbeitsraum zur Entwicklung unserer Kreativität und Persönlichkeit, erreichen dadurch Anerkennung und Wertschätzung in unserer Umwelt. Dadurch sind wir leistungsfähiger und haben Spaß bei der Arbeit.
Auch der repräsentative Charakter und die Unternehmenskultur einer Firma werden durch eine besondere und individuelle Ausstrahlung und Stimmung im Unternehmen verstärkt und bieten viele Vorteile und Identifikationsmöglichkeiten, zum Beispiel auch für die Mitarbeitergewinnung.
Bei der Planung der neuen Arbeitswelten, unserer Lebensräume, sollte sehr genau überlegt werden, welche Ziele verfolgt werden. Und für welche Abteilungen und Branchen welche Art von Flexibilität und Freiheit die Richtige ist, um für die Zukunft die unternehmerischen Weichen zielgenau stellen zu können. Wir bereiten den Weg für „das Büro der Zukunft 5.0“, ohne genau zu wissen, was die Zukunft wirklich bringen wird.
Sybilla Kasel, Innenarchitektin bdia, Büro KASEL Innenarchitekten Leipzig
Der Artikel erschien ungekürzt im bdia Handbuch Innenarchitektur 2019/20.