bdia ausgezeichnet! Bachelor für Maria Gerbaulet: „Wanderrefugium Ringelstein“
Bachelorarbeit SS 2018 an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, Detmold
Betreuung: Prof. in Iris Baum und Ricarda Jacobi, M.A.
Bachelorarbeit an der Hochschule Ostwetfalen-Lippe, Detmold
Wanderrefugium Ringelstein
Das Stellwerk Ringelstein, umgeben von Wanderwegen im Harth, gelegen an einer stillgelegten Bahnstrecke, besitzt durch seine Lage und seine baulichen Merkmale gute Voraussetzungen für ein Wanderrefugium.
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Das Wandern verändert sich, wird von immer mehr jungen Menschen praktiziert und geht mit dem Trend hin zum Genussvollen. Der sportliche Gedanke des Wanderns wird demnach meist hintenan gestellt und die Motivation für eine Wanderung verändert sich. Galt es vor ein paar Jahren als Freizeitbeschaäfigung der eher älteren Generation, hat es einen starken Aufschwung erlebt und ist vor allem durch seine ausgleichende Wirkung auf Seele und Körper immer mehr in den Fokus gerückt. Die Menschen leben häufig einen schnelllebigen Alltag mit Verzicht auf Zeit und bewusstes Erleben. Die Digitalisierung hat zudem Einfluss darauf, dass sich der Mensch immer mehr vom Natürlichen entfernt und vor allem den Bezug zu menschlichen, sozialen Kontakten verliert. Gleichzeitig stellt man immer stärker fest, dass etwas fehlt, sei es das bewusste Wahrnehmen einer Situation, der Zugang zur Natur oder auch die Rückbesinnung auf sich und seinen Körper.
Das Wandern lässt uns der Natur aber auch uns selbst, verstanden als Teil der Natur, wieder näher kommen. Dieses Näherkommen zeigt sowohl positive Effekte auf die physische als auch auf die psychische Gesundheit.
Konzept/Aneignung des Raumes
Das Annähern an das Natürliche und Bewusste für die eigene Umwelt, die eigene Person und den eigenen Körper, der beim Wandern an seine Grenzen kommt, sind die thematischen Schwerpunkte, die für die Gestaltung meines Erdgeschossbereichs die Basis bilden. Geknüpft an sich unterscheidende Handlungen überführte ich die Themen in ein fließendes Raumgefüge. Es ist mir wichtig, dass der Nutzer zu sich kommen kann und den Raum und die Handlungen des Ankommens, des Waschens, des Liegens in ihrer natürlichen Form mit allen Sinnen wahrnimmt. Dieses Bewusstwerden soll über Auf- und Abstiege, über konkrete Schaffung von Freiraum und Privatheit in Form von Schiebeelemente generiert werden.
Als weiteren Aspekt greife ich die Möglichkeit der freien Kommunikation auf. Eine Kommunikation, die durch eine informelle Umgebung eine offene Gestaltung ermöglicht, mit der Chance zum Rückzug aber auch der direkten Teilnahme am Gespräch an Tiefe gewinnt. Das Wandern bietet den Vorteil, dass man sich von der Gruppe oder einzelnen Personen zurückfallen lassen oder aufschließen kann, entsprechend wenn man sich der Kommunikation entziehen möchte oder eben diese sucht. Dabei geht man nebeneinander her, ohne einen direkten Augenkontakt mit dem Gesprächspartner zu haben. Um diese Thematik in der Raumgestaltung im Obergeschoss aufzugreifen, arbeite ich mit aktiven Zonen und Randnischen. Diese Randzonen haben nur leichte Trennungen, sodass immer noch Sichtkontakt zu den Aktivitätszonen aufgebaut werden kann und man sich Situationen entziehen oder annähern kann.
Ankunftsort
Einer der drei Haupthandlungen in der Wanderunterkun bildet das Ankommen.
Das Ankommen am Zielort symbolisiert dem Wanderer, dass das Tagesziel erreicht ist. Dieser Handlung kommt bei einer Wanderunterkunft eine bedeutende Rolle zu und bedarf eines Orts, der dieser gerecht wird.
Der erschöpfte Wanderer besitzt die Möglichkeit, sich direkt beim Erreichen der Unterkunft auf eine mit starkem Leder überzogene Bank fallen zu lassen, um sich vor Ort die Schuhe auszuziehen. Dafür wird in der durchgängigen Treppenwand eine Ankunftsbox integriert. Die Box dient der Verstauung der Sitzebene und ebenso der Wanderschuhe. Der Dreck der Wanderschuhe fällt in eine Schublade, die seitlich in der Kellerebene geleert wird. Neben der integrierten Wanderbox befindet sich seitlich eine in eine Tür integrierte Garderobe. Die Tür bildet die Schwelle zur Kellerebene, die als funktionale Ebene für Heizung und Waschmaschinen dient.
Entspannungsort
Das Erdgeschoss wird über das bestehende Treppenhaus erreicht. Es befinden sich dort Zonen zur Entspannung und zur körperlichen Hygiene. Das Bad und der Schlafbereich im herkömmlichen Sinne verschmelzen zu einer Einheit mit räumlichen Qualitäten wie gezielte Führung von Tageslicht, Spiel mit Ebenen und Höhen. Als größter gestalterischer Eingriff ist eine Box eingefügt worden, für die ein oberes Deckenfeld entfernt wurde. Die Box sorgt für eine erweiterte Raumhöhe im Erdgeschossbereich und schafft zudem eine Empore im Obergeschoss. Die Box, die als Hauptliege und Schlaffläche dient, ist zum angrenzenden Raum und Nassbereich geöffnet, kann jedoch auf Wunsch nach stärkerer Privatsphäre über ein Schiebeelement geschlossen werden. Durch einen leichten Überstand zu der darunter liegenden Ebene, erweckt sie den Eindruck in das Gebäude eingeschoben zu sein. Von der Schlafbox aus erreicht man die tiefere Erdgeschossebene über drei hölzerne Trittstufen, die an der Wand entlang laufen. Neben der Liegebox ist das Duschelement ein weiteres zentrales Element der Raumgliederung. Nach vorne grenzt es den Nassbereich, seitlich den Toilettenbereich und nach hinten den Entspannungsbereich ein. Der Entspannungsbereich besteht aus eingelassenen Tatami Matten, die für Massagen aber auch als Untergrund für eine optionale Schlafebene für weitere zwei Personen dient. Eine Matratze kann dafür aus der unteren Rückseite des Duschelements hervorgezogen werden. Oberhalb befinden sich Regalflächen für die Utensilien des Wanderers.
Vom Tatamibereich wird der Boden ein weiteres Mal abgesenkt, um auf das Niveau des Außenbereichs zu gelangen und schafft hier eine Fläche für ein Fußwaschbecken. Das Becken selbst ist flexibel und kann hängend an der Wand gelagert werden, während ein Wasserhahn zur Befüllung in der Nähe ist.
Ort der freien Kommunikation
Über das Bestandstreppenhaus wird man weiter ins obere Geschoss geleitet, das den gemeinschaftlichen Handlungen dient. Durch den Grundgedanken einer freien, flexiblen Kommunikation, habe ich neben den Aktivitätszonen Randzonen geschaffen, gebildet durch raumhohe, transluzente und textile Raumteiler sowie zwei Ebenen, die höher gelegene Kaminebene und die in das Treppenhaus eindringende Sitzbox.
Im Aktivitätsbereich und Kochbereich sind einzelne Handlungsschritte neu aufgegliedert und räumlich strukturiert. Im Zubereitungsbereich, der auf der Kaminebene aufliegt, bildet sich seitlich auf der Kaminebene ein Sitzplatz aus, sodass jemand bei der Zubereitung helfen oder aber auch durch die leichte Trennung einer anderen Handlung nachgehen kann. So entsteht ein Ort, der ungezwungen für eine Gesprächssituation genutzt werden kann. Durch die Entfernung der Geschossdecke im Obergeschoss wird der Blick auf den Dachstuhl frei und der Raum gewinnt an Höhe. Während es ganz flächig eine Zwischensparrendämmung gibt, wird nur der hintere Raumbereich über Lamellen zoniert.
Materialität
Der Erdgeschossbereich ist in einer ruhigen und klaren Materialsprache gehalten. Um die fließende Raumführung zu unterstützen, wählte ich einen fugenlosen Estrich für alle Bereiche, ausgenommen der Schlafbox. Die Wände erhalten einen Lehmputz mit leichter Struktur, um einen sanften Kontrast zu der glatten mit Microbeton beschichteten Schlafbox zu schaffen. An der Duschwand und im Bereich oberhalb des Waschbeckens wird der Strukturkontrast durch schimmernde Keramik gesteigert. Farblich gibt es nur geringe Abstufungen. Textile Schiebelemente aus Leinen werden in Holzrahmen aus Hainbuche geführt.
Während Hainbuche und geräuchertes Eichenholz in den meisten Bereichen im Erdgeschoss nur akzenthaft verwendet wird, bildet das Schlafboxinnere aus breiten mit Hainbuche furnierten Schichtholz Platten mit seiner Durchdringung nach oben einen leichten Übergang in das Hölzerne, Warme. Im oberen Bereich bleiben die Wände weiterhin schlicht, während der Fußbodenbelag in Hainbuche gestaltet ist, die an einer Stelle von Eichenleisten (geräuchert) durchbrochen wird, die den Blick nach unten freigeben. Im Obergeschoss werden verstärkt Textilien eingesetzt: als Polsterung, als Teppiche oder in Form der raumhohen Raumteiler. Metall findet akzenthaft braunrot pulverbeschichtet als Möbelbeine oder Regalauflage Verwendung.
Abschlussbemerkung
Mit dem Wanderrefugium Ringelstein schffe ich einen Ort, der den Menschen alltägliche Handlungen bewusst erleben und genießen lässt. Ein Ort an dem nicht funktional orientiert Handlungen vollzogen werden, sondern diese an Qualität und Gefallen gewinnen, durch den ganzheitlich an den Nutzer angepassten räumlichen Kontext.
Die Merkmale des Hauses werden durch ein Spiel mit weiteren Zwischenebenen herausgearbeitet und gesteigert. Ebenen und Steigungen symbolisieren Anstiege und das Bergab einer Wanderung, verorten Handlungen und schaffen fließende Räume. Maria Gerbaulet
Die Bewertung erfolgte am 25. Juli 2018 Jury: Karin Friedrich-Wellmann | Innenarchitektin, bdia NRW,Thomas Geppert | Innenarchitekt, bdia NRW, Jana Stumpeund Amelie Peters | Preisträgerinnen des Vorjahres
Jurybegründung: Als Ergebnis mit der Auseinandersetzung zum Thema „Unterkunft für Wanderer“ in einem alten Stellwerk entstand beim Bauen im Bestand eine spannungsreiche Raumabfolge, die durch ein Spiel mit Zwischenebenen herausgearbeitet und gesteigert wurde.
Ebenen und Steigungen symbolisieren die Anstiege und das Bergab einer Wanderung, verorten Handlung und schaffen fließende Räume. Räume und Funktionsmöbel gehen ineinander über, sodass jede kleinste Ecke zum Erlebnis wird und der Innenraum zu einer erlebbaren Skulptur.
Das Innenraumkonzept ist funktional durchdacht und hat Entwicklungspotenzial für regional verordnete Gebäude im Bestand.