bdia anerkannt! Master für Paulina Eckert „Dekonstruktivismus und Dystopien“
Betreuung: Prof‘ in. Tanja Kullack und Prof‘ in. Barbara Holzer
Masterarbeit SS 19 an der Hochschule PBSA Düsseldorf
Dekonstruktivismus und Dystopien
Forschungsreihe zum dekonstruktiven Entwerfen
„If you want THINGS to change, YOU have to change….“ Jim Rohn
„Das Verb ‚entwerfen‘ leitet sich wie das französische ‚projeter‘ von der schnellen Bewegung des Schleuderns, des Auswerfens her – einer Geste der Distanzierung und des Kontrollverlusts. (…) Wer entwirft, versucht dem Unbekannten oder Ungedachten eine Form zu geben, er/sie schlägt eine graphische -oder im Fall des Modells dreidimensionale Brücke ins Nichts.“
Ana Ofak (Agenten neuer Form) Bildpraktiken und experimentelles Entwerfen
Etwas Neues kreieren, polarisieren, sich der Kreativität hingeben – Das waren und sind meine Ziele als Architektin/Innenarchitektin.
Nach fünf Jahren Studium stand für mich fest, dass ich in meiner Masterabschlussarbeit etwas Besonderes machen wollte – etwas, das mich und meinen Geist auf ein neues Level des Entwerfens bringen sollte.
Die Mittel, die ich bisher zum Entwerfen nutzte, erschienen mir jedoch hierfür nicht ausreichend. Ich wunderte mich stets, dass mir bereits zu Beginn des Prozesses klar war, was es am Ende sein würde. Bis dato war es mir noch nicht gelungen, etwas wirklich ‚Neues‘ zu entwickeln oder herauszufinden.
Ich stellte mir daher folgende Fragen: Wie wäre es, mit unterschiedlichen Mitteln zu entwerfen, ohne im Vorhinein zu wissen, was es werden wird oder besser was es sein will?
Warum nicht ,einfach mal’ die herkömmlichen Ketten des Entwerfens lösen, um zu schauen, was dabei passiert?
Schnell zeigte sich, dass ,einfach mal‘ lange nicht so einfach war, wie gedacht.
Bereits zu Beginn eines jeden Forschungsprozesses fiel mir auf, wie gefangen ich in meinen eigenen Ketten des Entwerfens war.
Ich war nicht im Stande, etwas zu entwickeln, ohne es vorher schon zu Ende gedacht zu haben. Die Willkür, das Loslassen und das Distanzieren von Regeln überforderten mich in jeglicher Hinsicht.
Also beschloss ich, mich mit dem Dekonstruktivismus sowie mit Dystopien auseinanderzusetzen. Der Dekonstruktivismus erschien hierbei als besonders geeignet, da es sich um eine Haltung in der InnenArchitektur handelt, in der die Willkür und das Verändern von herkömmlichen Formen bereits essentiell sind. Jacques Derrida beschrieb das Entwerfen des Dekonstruktivismus als „Sanfte Schmeichelei und gewaltätige Folter (…) die Form wird verhört.“
Basierend darauf sowie auf der Tatsache, dass heutzutage bereits einige Dystopien existieren, die jedoch als Grauzonen abgetan werden, suchte ich mir eine Basis. Diese Basis galt es zu dekonstruieren, um sie anschließend neu zu konstruieren.
Dazu mein Konzept..
Meine Basis bildete eine Geschirrreihe, die bei bei einem ansässigen Händler erworben werden kann und deren Produktionsstätte nicht kenntlich gemacht ist.
Ich forschte, telefonierte mit Angehörigen des Großunternehmens und schrieb mehrere E-Mails, bis ich erfuhr, dass das Geschirr in Indien produziert wird.
Die Recherche, die ich über die Kostenermittlung anstellte, endete mit einem ernüchternden Ergebnis: Ein Teller kostet hier vor Ort 18,95€. 38% davon gehen an den Einzelhandel, 22% an den Markenkonzern, 3% an die Zölle, 4% an Zwischenhändler, das Material macht rund 8% aus, 19% sind Mehrwertsteuer, 3% gehen an den Gewinn der Produktionsfirma und gerade einmal 3% an die Produktion.
So verdient die Person, die die Teller herstellt, gerade einmal 0,57€ pro Teller. Da die Produktion arbeitsteilig verläuft – meist in drei bis fünf Schritten – kann davon ausgegangen werden, dass jeder Beteiligte in der Produktion ca. 11-19 Cent pro Teller bekommt.
Bedingt durch Angebot und Nachfrage ist so ein Kreislauf entstanden, der sich jeglicher Grenzen widersetzt. Eine Dystopie, die allgegenwärtig ist und mit Sicherheit nicht die einzige in unserer Zeit.
Doch wie soll man diesen Kreislauf durchbrechen und ein Zeichen der Veränderung setzen?
Ich entschied mich dazu, die Geschirrteile aus unterschiedlichen Höhen zu werfen, bis sie zerspringen und diese anschließend anhand der Grundregeln des Entwerfens neu zusammenzusetzen.
Die Regeln:
Jedes Teil des Geschirrsets teilte ich einem Entwurfsprinzip des Zusammenbaus zu.
Die Entwurfsprinzipien waren:
- additiv
- parallel
- horizontal
- vertikal
- parasitär
- zentriert
- raumgreifend
- weitläufig
Anhand dieser Prinzipien baute ich aus den Scherben Modelle und nutzte dabei folgende Hilfsmittel:
- Textil
- Seife
- Leim
Anschließend schaute ich mir die fertigen Modelle genau an und versuchte zu definieren, was sie nun ,sein wollten’ und ,warum‘.
Könnten sie InnenArchitektur sein und wenn ja, wie lässt sich eine Verbindung zur InnenArchitektur ziehen?
Die Brücken..
Auf der Suche nach Ergebnissen und meiner Interpretation der erlangten Modellreihe, fand ich nicht nur Parallelen zur Architektur.
Die Hauptbereiche, in denen ich fündig wurde, waren:
- Produktdesign
- Räumliche Zusammenhänge
- Filmset
- Möbelbau
Ich lade Sie nun dazu ein, in meinen Forschungsprozess einzutauchen und meine freien Interpretationen in diesem Raum zu erkunden.
Vielleicht fragen Sie sich auch dabei: Wie würde wohl Ihre Interpretation aussehen?
Paulina Eckert
Jury: Barbara Eitner | Innenarchitektin bdia, Tanja Klang | Innenarchitektin bdia, Birte Riepenhausen | Innenarchitektin bdia, Manuel Klein | Innenarchitekt bdia, Christoph Laubuhr und Nadja Jung | bdia ausgezeichnete im Vorjahr
Jurybegründung: Diese außergewöhnliche Arbeit mit enormer intellektueller Tiefe stellt herkömmliche Entwurfsprinzipien auf den Kopf, zerstört, um Neues zu schaffen.
Die Erfindung verschiedener Dekonstruktions- Systematiken ähnlich den Versuchsaufbauten, die man aus der Physik kennt, macht das eigentliche Zufallsergebnis in gewisser Hinsicht planbar. Genial!
Die Arbeit ist mutig und kraftvoll!