BDIAusgezeichnet! an der Hochschule Hannover (Sommersemester 2014)

An der Hochschule Hannover (Fakultät III – Medien, Information und Design, Studiengang Innenarchitektur) beurteilte dieses Jahr der BDIA Landesverband Bremen Niedersachsen die Abschlussarbeiten aus dem Wintersemester 2013/14 und dem Sommersemester 2014. Eine vierköpfige Jury bewertete unter verschiedenen Gesichtspunkten wie Konzeption, gestalterische Qualität, Funktionalität, Materialität, sowie Innovation und Nachhaltigkeit die Arbeiten.
Nach mehreren Durchgängen stellten sich schließlich zwei Arbeiten heraus, die die Jury jeweils mit einer BDIAuszeichnung! ehrte. Zwei weitere Arbeiten sollten ebenfalls nicht leer ausgehen und wurden durch eine BDIAnerkennung! gewürdigt.

Der Studentenpreis BDIAusgezeichnet! wurde erstmalig 2013 vom Bund Deutscher Innenarchitekten (BDIA) initiiert und stellt die Arbeit der Absolventen und damit auch die Arbeit der Hochschulen in den Mittelpunkt. Der BDIA möchte herausragenden Abschlussarbeiten Geltung verleihen sowie auf die vielfältigen Themen und immer komplexer werdenden Anforderungen, denen sich Innenraumplaner stellen, aufmerksam machen.

Jury:
Michael Jülke, Innenarchitekt | Vorsitzender BDIA LV HB/NDS
Tanja Remke, Innenarchitektin | Wilkhahn Wilkening + Hahne GmbH+Co.KG
Sybille Schrötke, Innenarchitektin | Stellvertreterin BDIA LV HB/NDS
Sandra Ebbinghaus, Innenarchitektin | Stellvertreterin BDIA LV HB/NDS

BDIAusgezeichnet! ging an Katharina von Issendorf & Charlotte Wiechens für ihr Projekt “Hand in Hand” und an Julia Kollen für ihr “Badehaus SOAK”. BDIAnerkennung! ging an Ganna Khaychuk für das “Documenta Archiv” und an Claudia Gratzke für ihr Projekt “Unsichtbare Grenzen”.

BDIAusgezeichnet! Katharina von Issendorf & Charlotte Wiechens: “Hand in Hand”
KvI und CW LageplanWohnung_Bachelor_szene_3_webDie Verbindung zweier Themen: Alternde Gesellschaft trifft landwirtschaftliche Bausubstanz. Dem Trend der alternden Gesellschaft begegnen wir in der Konzeptidee mit einem zweiten Trend: Dem Trend der Urbanisierung. Während junge Leute in große Städte ziehen, lässt dies in den „Speckgürteln“ eine qualitativ hochwertige, aber nicht mehr genutzte Infrastruktur zurück. Besonders bei landwirtschaftlichen Betrieben, deren Zahl durch die zunehmende Konsolidierung immer weiter schrumpft, bleiben Höfe mit Strukturen zurück, die in Ihrer  ursprünglichen Form keine Verwendung mehr finden. Genau so einen Hof haben wir als Basis f+r unsere Studie ausgewählt, um über eine Umnutzung ein funktionierendes Konzept für ein modulares Altern zu ermöglichen.

Ba_2_webModulares Altern bedeutet bedarfsbezogen Struktur en anpassen zu können, die an den individuellen Prozess des Alterns orientiert sind. Es soll dabei beispielsweise kein integriertes Betreuungsangebot bestehen, jedoch die Möglichkeit bei Bedarf auch einen ambulanten Pflegedienst anzugliedern. Im Mittelpunkt steht dabei ein individuelles, selbstbestimmtes Wohnen. Die Wohneinheiten werden miteinander verbunden um einen guten Anschluss an eine sich gegenseitig unterstützende Gemeinschaft zu ermöglichen. Um dieses Ziel zu unterstützen, soll eine intelligent vernetzte Gebäudetechnik im Hintergrund arbeiten. Ziel ist die Vermeidung und Erkennung von Notfallsituationen im häuslichen Umfeld. Durch das Integrieren von
selbstlernenden Sensor-, Auswertungs- und Reaktionskomponenten, ermöglicht die Technik den Senioren ein sicheres Leben in den eigenen vier Wänden. Das Zusammenspiel von „Technik“ und „individuellem Wohnen“ in einer gemeinschaftlich angelegten Struktur soll eine eigenständige und sichere Alternative zum Umzug in ein Altenheim darstellen.

Begründung Jury:Die Bachelorarbeit beschäftigt sich mit relevanten Themen aus gesellschaftlichem Wandel und Umgang mit erhaltenswerter Bausubstanz. Dies sind zwei Kernthemen die immer mehr in den Fokus des innenarchitektonischen Aufgabenfeldes rücken. Gezielte Rückbaumaßnahmen legen den ursprünglichen Charakter eines Gebäudes wieder frei. Durch behutsames Hinzufügen neuer baulicher Elemente und Nutzungen werden Mensch & Raum zusammen geführt. Die Studentinnen zeigen, dass bei der Umsetzung des Entwurfs längst nicht nur Fleiß gefragt ist, sondern mindestens ebenso Einfühlungsvermögen und Gespür für sich entwickelnde Zielgruppen.

BDIAusgezeichnet! Julia Kollen: Badehaus SOAK
ganzes beckenLaengsschnittDAS BADEHAUS: Ein historisches und spannendes Gebäude mit einer interessanten Geschichte, die ihre Spuren hinterlassen hat. Ein Bestandteil meines Konzepts ist es, mit diesen Spuren zu arbeiten. Da aber auch die ehemalige Nutzung eine Bedeutung hat, möchte ich das Haus wieder zu einem Ort für Wasser und Erholung machen.

Bewusst habe ich mich für die Reduzierung auf Wasser in seinen unterschiedlichen Formen entschieden und gegen die Erweiterung zu einem typischen Spa, da dies meiner Meinung nach der Geschichte des Gebäudes nicht gerecht wird. Schon damals diente das Badehaus dazu, das Wasser als Heilmittel für Körper und Geist anzuwenden. In meinem Entwurf versuche ich diese Funktion auf eine neue Art zu interpretieren und den Raum in diesem Konzept mit einzuschließen. Deswegen hat meine Entwurfsplanung mit dem Wasser begonnen. Es beeinflusst die Architektur und formt die neue Raumstruktur. Auf abstrakte Weise erinnert diese immer noch an den ursprünglichen Grundriss mit den langen Fluren und den vielen kleinen Wassertherapieräumen. Wo man einst über den Flur das gesamte Gebäude durchschreiten konnte, kann man jetzt langschwimmen. Bei der Gestaltung der neuen Raumstruktur war es mir wichtig, dass sich diese vom Bestand abhebt und als etwas Neues erkennbar wird. Deswegen haben alle Elemente die ich hinzugefügt habe eine eigene, gemeinsame Formsprache.

Begründung Jury: Die Bachelorthesis zeigt eine klassische innenarchitektonische Ausarbeitung und stellte sich der Aufgabe brachliegende Gebäude wiederzubeleben ohne die Gebäudehistorie außer Acht zu lassen. Die Arbeit zeugt von großer Sensibilität, denn es gelingt der Verfasserin den Raum des historischen Gebäudes durch Neuinterpretation vorhandener Strukturen wiederzubeleben ohne befremdlich zu wirken. Die Ästhetik des Entwurfes besticht durch unaufgeregte Gestaltung und einen gewissen Mut zur Reduktion.

 BDIAnerkennung! Ganna Khaychuk: Documenta Archiv
Dokumentation Khaychuk-83 homepageDokumentation Khaychuk-75 homepageDocumenta Archiv Kassel: Die Wechselwirkung zwischen der Kunst und der Documenta erscheint als eine zyklische Abfolge von Implosion und Explosion. Unter der Implosion ist die “kritische Masse” an künstlerischem Gedankengut gemeint und seinen Erzeugnissen die alle fünf Jahre nach Kassel einströmen. Hier wird diese Masse durch das Aufeinandertreffen verschiedener Ansätze, und der interdisziplinären Kommunikation 100 Tage lang angereichert und umgewandelt, bis es sich dann wieder mit einer explosionsartigen Geschwindigkeit über den Globus verteilt. Man kann also nicht sagen welches dieser Wirkungen eine stärkere Ausprägung hat, oder welches davon diesen Prozess auslöste.

Ganna Khaychuk war es außerdem wichtig in dem Projekt möglichst viel Wissen und Eindrücke, welche sie bei der Recherche erworben hatte, einzubeziehen. Dieses könnte dazu führen, dass die einzelnen Elemente, die durch unterschiedliche künstlerische, philosophische und wissenschaftliche Überlegungen und Fakten inspiriert wurden, nicht in einem Konflikt zu einander stehen, sondern sich gegenseitig zu einem Ganzen vervollkommnen. Die einerseits provokative, andererseits freie Gestaltung des Innenraumes als Ganzes, ermöglicht jedem Besucher einen Einblick in die verschiedenen Ansichtspunkte, ohne ihn in seiner eigenen Erschließung der Kunst zu bedrängen. Um die sozialen Aspekte des Kunstgeschehens nicht nur vor dem Publikum aufzudecken, sondern auch Konversationshemmungen wegzuräumen, dürfen nur wenige Bereiche von der Gebäudeinfrastruktur hart abgegrenzt werden.
Einsehbarkeit im Sinne von Hermann Hertzberger ist ein weiteres Werkzeug, das im Raumkonzept eingesetzt wird. Es ist eines der stärksten Mittel um Menschen in eine kommunikationsfreudige Stimmung zu versetzen. Bei den Aspekten die schon angesprochen wurden, soll eine enge Beziehung zum Ort nicht in den Hintergrund gestellt werden. Die geschichtlichen, sozialen und geografischen Faktoren von Kassel verleihen den Inszenierungen der Kunst bei der Documenta ihren Charme. Dieser Charme ist einer der wichtigsten Gründe, die dazu beitragen, dass die Documenta immer mehr Besucher zählt. Dies ist umso wichtigerer, wenn man von der Definition der Kunst ausgeht die den Betrachter als den Hauptinterpret der Kunstwerke ansieht.

Begründung Jury: Die Arbeit zeigt einen bemerkenswerten Spagat zwischen Architektur & Innenarchitektur. Der Studentin ist es gelungen, die Übergänge zwischen Architektur, Innenarchitektur und Kunst auszuloten. Besonders hervorzuheben ist künstlerische Aufbereitung in der Dokumentation. Jedoch haben wir berücksichtigt, dass eine Arbeit aus dem 15. Semester nicht mit Arbeiten aus der Regelstudienzeit zu vergleichen ist. Wir haben die Arbeit auf Grund des Lebenslaufes der Studentin, sprich bereits mehrjähriger Berufserfahrung, außer Konkurrenz gesehen und uns daher für eine Anerkennung und nicht für eine Auszeichnung entschieden.

BDIAnerkennung! Claudia Gratzke: Unsichtbare Grenzen

Claudia Gratzke GrenzenClaudia gratzke KubaturClaudia Gratzke SchnittRauminstallation im öffentlichen Raum über die Integration von Flüchtlingen. Das Ergebnis der Bachelorarbeit von Claudia Gratzke, eine Installation mit Aufklärungscharakter, ist das Resultat einer experimentellen Auseinandersetzung mit dem Thema der Integration von Flüchtlingen (als Schwerpunkt). Um sich bei ihrer Arbeit räumlich zu orientieren, hat sie sich parallel mit dem Begriff ‚Grenze‘ experimentell aber auch substanziell im Hinblick auf die Flüchtlingssituation auseinandergesetzt – sowohl physisch, als auch geistig. Die ‚Grenze‘ ist somit Stilmittel für sie.

Brauchen wir denn Grenzen? Ist es denn möglich bestehende Grenzen zu beseitigen oder sollten wir diese gar akzeptieren? Von welchen Grenzen sprechen wir eigentlich, wenn Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Auf Basis dieser und anderer Fragen war es sehr reizvoll, den für Innenarchitekten primär räumlichen Begriff ‚Grenze‘ mit den unsichtbaren Grenzen des Flüchtlings greif- und sichtbar zu verknüpfen. Entstanden ist eine Installation im öffentlichen Raum, die eine direkte Konfrontation mit dem Thema herstellt. Durch das Auflösen bzw. Verwischen von Raumgrenzen durch den Spiegel wird ein tiefgreifender Umgang mit den allgegenwärtigen Grenzen des Flüchtlings erzeugt. Unsichtbare Grenzen, die zur Kommunikation und Auseinandersetzung anregen.

Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit entschied sich Claudia Gratzke für ein politisch aktuelles Thema, welches derzeit hochbrisant behandelt wird.  Sie setzt sich mit der Flüchtlingssituation in Deutschland auseinander. Hintergründe wie verletzte Menschenrechte und Integrationsproblematiken im Sinne von moralischen Prinzipien und Werten spielen für sie eine bedeutende Rolle. Während meiner Recherchearbeit war schnell für mich klar, ich möchte keinen Entwurf für ein neues Flüchtlingswohnheim anfertigen. Natürlich gibt es an vielen Ecken  Nachholbedarf dafür – doch die Wünsche und Hoffnungen eines Flüchtlings liegen in einem ganz anderen Feld – nämlich in dem der Akzeptanz bzw. der Integration seiner selbst.
Neben großem Eigeninteresse am Thema spielen Gefühle bzw. Erfahrungen, sowohl die der Einheimischen als auch die der Schutzsuchenden, eine wichtige Rolle in meiner Arbeit. Das Spektrum ist breit – ich werde mich deshalb speziell mit dem Begriff ‚Grenze‘ experimentell aber doch auch substanziell im Hinblick auf Flüchtlinge auseinandersetzen – sowohl physisch, als auch geistig. Die ‚Grenze‘ wird somit zum Stilmittel für mich. Brauchen wir denn Grenzen? Ist es denn möglich bestehende Grenzen zu beseitigen oder sollten und müssen wir diese gar akzeptieren? Von welchen  Grenzen sprechen wir eigentlich, wenn Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Gibt es persönliche Grenzen, und wenn ja, an welcher Stelle beginnen sie und an welcher enden diese? Auf Basis  dieser und anderer Fragen möchte ich herausfinden, wie man den für uns Innenarchitekten primär räumlichen Begriff ‚Grenze‘ sich mit der doch auch unsichtbaren Grenze materiell bzw. greif- und sichtbar verknüpfen lässt.

Begründung Jury: Die Jury lobt besonders die experimentelle, substanzielle und zugleich unerwartete Auseinandersetzung mit einem politisch aktuellen Thema. Die mutige  Herangehensweise im Recherche- und Entwurfsprozess hat die Jury zu einer Anerkennung bewogen und möchte damit hervorheben, dass man sich auch schwierigen Themen experimentell auseinander setzen kann. Da der Ausarbeitungsgrad nicht vergleichbar mit anderen Arbeiten ist, wurde hier die Anerkennung ausgesprochen.