Blick nach vorn

bdia Handbuch Innenarchitektur 2022/23 – Fachbeitrag von Johannes † und Gudrun Berschneider

Der Begriff Nachhaltigkeit ist in aller Munde, in allen Medien nahezu ständig präsent. Er bestimmt unseren Alltag, durchzieht die Werbe- und Produktlandschaft und ist innerhalb kurzer Zeit zur Maxime unseres eigenen Handelns und Konsumverhaltens geworden.

Nachhaltig: die universelle Antwort darauf, wie wir leben wollen – oder besser gesagt – sollten. So emotional aufgeladen und konfliktbehaftet das Wort mittlerweile ist, so verwässert und abgegriffen wirkt es leider zwischenzeitlich. Etwa das sogenannte Greenwashing vieler Unternehmen, die uns Verbrauchern Nachhaltigkeit als effektvollen Anglizismus mit Sustainability nur werbewerbewirksam vorgaukeln, ohne sie wirklich umfassend zu praktizieren.

Viele Branchen haben sich das Ideal der Nachhaltigkeit erst in Anbetracht aktueller Entwicklungen auf die Fahne geschrieben. Sei es nun scheinbar oder tatsächlich, sei es nun nachhaltig oder sustainable: Wichtig ist, dass dieser „Trend“ positive Entwicklungen in allen Lebensbereichen anstößt und nicht nur eine Modeerscheinung bleiben darf.

In unserem Beruf ist das Nachdenken, das Planen nachhaltiger Prozesse und Produkte nichts Neues. Die Herausforderung, hohe Qualitätswerte im Zusammenspiel vieler Belange unter einen Hut zu bringen, war schon immer essenzieller Bestandteil unserer Arbeit. Gute Innenarchitektur und Architektur stehen für qualitätsvolles Bauen, das dem einzelnen Menschen dient, der Gesellschaft und der Baukultur.

Ein wesentliches Kriterium realisierter Nachhaltigkeit ist klar eine positive Energiebilanz, die sich nicht nur auf den Unterhalt und Betrieb bezieht, sondern u.a. auch auf Produktion, Transportwege sowie die Entsorgung im energetischen Fußabdruck eines Projekts abbildet. Der Einsatz zeitloser und einfach recyclebarer Materialien leistet hierzu seinen Beitrag.

Wenn wir dabei das nachhaltige Planen weiterdenken, wächst seit langem die Bedeutung des Bauens im Bestand. Manch ketzerische Stimme fragt sogar nach, ob man überhaupt noch neu bauen sollte. So weit kann man natürlich nicht gehen.

Aber es ist sehr bedeutend, vorhandene Gebäude vor sinnlosem Abriss zu bewahren. Bestehende Bauten sind eine Ressource, die keine neuen Flächen fressen, deren vorhandene Substanz graue Energie gespeichert hat, die zur alternativen Neuerstellung nicht erst aufgewendet werden muss.

Doch auch darüber hinaus denken wir nachhaltig. Besonders dann, wenn wir das erhalten, was bereits da ist. Sanieren, Umbauen, das Bauen im Bestand, Erweiterung bestehender Substanz: Das alles ist fundamental, um Nachhaltigkeit in unserer Arbeit zu verwirklichen.

Auch wir bei Berschneider + Berschneider arbeiten nach diesem Prinzip. Warum sollte man Qualitäten, die auch nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten noch in einem Gebäude stecken, einfach abbrechen. Viel sinnvoller ist es doch, die alte Substanz zu nutzen, weiterzuentwickeln.

Ein kleines Projektbeispiel aus unserem Büro, es müsste dafür gar kein Denkmal sein, ist die Alte Mälze im Oberpfälzer Lauterhofen. Eine kleine Mälzerei mit Ursprung im 16. Jahrhundert als Teil eines Nutzgebäudeensembles wurde mit neuen Ideen und Engagement der Gemeinde vor dem Verfall bewahrt. Dem Denkmal-Gedanken entsprechend, möglichst viel Historisches zu zeigen, wurden Wände von modernen Putzen befreit, Balken freigelegt, alte Raumstrukturen ablesbar belassen. Decken sind teilweise entfernt worden, um Platz zu schaffen für sparsame, maßgeschmiedete Einbauten, wie eine frei in den Raum gehängte WC-Box oder die Galerieebene unter dem Dach.

Alle Einbauten sind so konzipiert, dass ein späterer, umweltschonender Rückbau und damit die Umnutzung des Gebäudes oder sogar der Abbruch in hoffentlich ferner Zukunft ohne weiteres möglich wären. Das Wort Nachhaltigkeit war vor 500 Jahren nicht bekannt und auch nicht notwendig. Von damals können wir nur lernen, was nachhaltiges Bauen ausmacht, wir brauchen das Rad nicht neu erfinden.

Baubiologische Sünden, die es natürlich zu entfernen galt, stammen demnach nur aus der jüngeren Vergangenheit. Unsere Vorfahren hatten schlicht nur ehrliche Materialien direkt aus Ihrem Umfeld zur Verfügung. Verbundstoffe oder Kunststoffe gab es einfach noch nicht. Bei Umbau oder Abbruch konnten so die Gebäude jederzeit in ihre verwertbaren Baustoffe aus Holz, Stein, Metall zerlegt werden. Ein Baukastenprinzip, von dem wir heute mit dem Wunsch nach Recycling in einer Welt von Plastik oft nur träumen können.

Wer von Nachhaltigkeit spricht, darf auch den fundamentalen Aspekt der Regionalität nicht außer Acht lassen. Die Verwendung von Baumaterial aus der Region, das Urban Mining, geht nicht nur mit kurzen Transportwegen einher, sondern stärkt regionale Unternehmen.

Exemplarisch extrem konnten wir das bei Umbau und Erweiterung der Verwaltung der Trollius GmbH in Lauterhofen durchexerzieren. Ein Familienunternehmen für Kalk und Schotterherstellung, das den Naturstein aus den eigenen Brüchen in Steinwurfweite liefern konnte. Der hauseigene Rohstoff zieht sich von den Fassaden nach innen in Wände und Boden. Die Wandverkleidung aus Kalkstein im Besprechungszimmer ist nicht nur gestalterisches Element, sondern dokumentiert dazu die geologischen Gesteinsschichten aus dem eigenen Steinbruch der Firma.

Nachhaltige Architektur funktioniert nicht ohne die Region – nicht nur in Hinblick auf Materialien, sondern auch in Bezug auf die Umsetzung, auf Erhaltung und Stärkung des regionalen Handwerks. Die handwerkliche Kunst und Qualität der einzelnen Zünfte gilt es zu wahren und zu stärken.

Dieses Ziel, sowie die Verwendung regionaler Baustoffe, ist manchmal leider schwer zu halten, beispielsweise bei öffentlichen Projekten mit ihren Vergaberegularien.

Nachhaltige Architektur, das ist Erhaltung; ein durchdachter Umgang mit dem, was bereits da ist, die Weiterentwicklung für flexible Anpassungen an zukünftige Anforderungen wie auch die soziale Verantwortung als einen Baustein immer im Blick. Die historischen Räume wurden zur Leinwand für neue Innenarchitektur. Einst ein marodes Bauwerk, steht die Alte Mälze in Lauterhofen heute vielfältiger kultureller Nutzung offen. Das kleine, aber im Ortsbild prägnante Gebäude ist auch ein Stück emotionale Nachhaltigkeit. Ein Stück Dorfgeschichte bleibt erhalten und belebt gleichzeitig das soziale Miteinander im Ort mit neuen Facetten und Möglichkeiten.

Innenarchitektur darf modern sein, wild sein, extrem sein. Sie darf aber nie der Selbstdarstellung der Planer oder der Bauherrn dienen, sondern muss unter alle beschriebenen Faktoren einen Haken setzen können. Neben der gestalterischen Entwicklung müssen wir als Innenarchitekten nicht minder Kreativität in die umfangreichen Belange nachhaltiger Projekte stecken.

Ein kompaktes Instrument, die Nachhaltigkeit der eigenen Projekte mal auf den Prüfstand zu stellen, ist unverbindlich die Checkliste aus der Deklaration Nachhaltigkeit Innenarchitektur, einer Initiative des DGNB und der BAK, die der BDIA unterstützt. Auf einer Seite kann ich hier als Planer oder auch Bauherr für mein eigenes Projekt die Bausteine der Nachhaltigkeitsziele abklopfen und die einzelnen Faktoren auf der Liste bewerten. Die Checkliste führt mir kompakt vor Augen, was mein Entwurf, meine Ausführungsplanung leisten als Beitrag zur Baukultur, für den Nutzer als Menschen, für zukunftssichere Flexibilität, für umweltgerechte Umsetzung, für Klima und soziale Verantwortung.

Die Nachhaltigkeit ist jedenfalls kein Qualitätsmerkmal, das für unseren Berufsstand erst erfunden werden musste. Gute Innenarchitektur und Architektur basieren auf durchdachten, weitsichtigen Konzepten; darauf, optimale Bedingungen für Nutzer, Bauherrn und letztendlich auch die Nachhaltigkeit zu schaffen. Diese erfordert ebenso kreative Lösungen und Ideen. In erster Linie jedoch darf sie keine kurzfristige Modeerscheinung sein. Der Grundgedanke muss immer der nachhaltige Blick in die Zukunft sein.


Dieser Fachbeitrag wurde von Johannes † und Gudrun Berschneider verfasst. In stillem Gedenken an den geschätzten Kollegen Johannes Berschneider. Mit ihm ist ein engagierter Impulsgeber für erstklassige Innenarchitektur und Architektur von uns gegangen! Durch ihn und mit ihm erwachte das Bewusstsein für gut durchdachte Innenarchitektur in Bayern und weit über unsere Landesgrenzen hinaus.