Die Zukunft: Barrierefrei!

Die Zahl der Menschen mit Behinderungen steigt stetig an. Nach den letzten amtlichen Veröffentlichungen sind es in Deutschland bereits über 12 Millionen Menschen – deutlich mehr, als bisher angenommen.
Laut den Erhebungen des statistischen Bundesamtes (Destatis) sind in Deutschland 7,3 Millionen Menschen schwerbehindert. Dies entspricht einem Behinderungsgrad von 50 und mehr und betrifft 8,9 % der Gesamtbevölkerung. Zwei Prozent der Behinderungen sind Folgen eines Unfalls und vier Prozent der Behinderungen sind angeboren. Die überwiegenden Ursachen von Behinderung sind jedoch Folgen von Erkrankungen. Ungefähr 75% der Menschen mit Behinderung sind 55 Jahre und älter.
An dieser Stelle sind folgende ergänzende Zahlen für eine Betrachtung der Thematik nicht unerheblich: Zurzeit weisen über 13 Millionen Menschen eine Schwerhörigkeit aufweisen. Allein 19 % der deutschen Jugendlichen über 14 Jahren sind hörbeeinträchtigt. Hier wird deutlich, dass das Thema Barrierefreie Planung nicht mehr nur einen gealterten oder mobilitätseingeschränkten Personenkreis betrifft. Es geht nicht nur ausschließlich um Flächenbedarfe und uneingeschränkte Nutzbarkeit mit dem Rollstuhl.

Gesellschaftliche Brisanz
Es gilt auch die Barrieren auszuräumen, die Menschen mit sensorischen Fähigkeitseinschränkungen des Hörens, Sehens, Tastens und Riechens haben und den Personenkreis mit zu berücksichtigen, der kognitive Einschränkungen vorweist.
Unter kognitiven Störungen versteht man unterschiedliche Beeinträchtigungen der Hirnleistung. Betroffen sein können: Konzentration, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Wahrnehmung, Planungs- und Problemlösungsfähigkeit. Erkrankungen wie Demenz oder Alzheimer beeinträchtigen besonders diese Fähigkeiten.

Neben den bekannten und veröffentlichten Fallzahlen gibt es bei der Erfassung von Behinderten und Beeinträchtigten eine große „Grauzone“: Nicht alle Betroffenen sind offiziell registriert und auch diejenigen fallen aus dem Raster, die vorübergehend durch Unfall oder Krankheit betroffen sind.

Das vorhandene Zahlenmaterial zeigt die gesellschaftliche Brisanz und dass das Barrierefreies Planen unumstritten ein Thema unseres Berufstandes und der Innenarchitektur ist. Deutlich wird, dass hiermit ein umfangreiches Spektrum abdeckt wird und die menschlichen Bedürfnisse die Basis der Planung bilden. Das entspricht genau dem Handlungsfeld, welches Innenarchitekten aufgrund Ihrer Ausbildung und Ihres Tätigkeitsfeldes seid jeher ausfüllen.

Barrierefreiheit und Bauordnung
Im Planungsalltag stellen sich jedoch häufig viele Fragen:
Was sollte gemacht werden, was muss gemacht werden, welche Regelungen und Vorschriften sind zu beachten, was ist den Bauherren zu empfehlen?
Die Barrierefreiheit ist bereits im § 3 des Grundgesetzes verankert und die Bundesregierung Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung der Behindertenkonvention für die Teilhabe von allen Menschen am gesellschaftlichen Leben bekannt. Im Planungs- und Baualltag stellt sich die Umsetzung der Inklusion doch etwas komplexer dar.
Vorerst regeln die jeweiligen Bauordnungen maßgeblich die Barrierefreiheit bei genehmigungspflichtigen Maßnahmen. Hierzu gehören auch Nutzungsänderungen.
Betrachtet werden der Wohnungsbau als auch Gebäude, die öffentlich zugänglich sind.
Bei öffentlich zugänglichen Gebäuden wird grundsätzlich eine Barrierefreiheit gefordert. Öffentlich zugänglich gelten die Teile von Gebäuden, die von einer nicht vorher bekannten Nutzergruppe aufgesucht werden können.
Arbeitsstätten haben einen besonderen Stellenwert: Sie gelten In der Regel nur in den Bereichen als öffentlich zugänglich, in denen Besucherverkehr stattfindet. Auf Landesebene können Vorschriften abweichen. In Baden-Württemberg z.B. werden Arbeitsstätten grundsätzlich als öffentlich zugängliche Gebäude betrachtet.
Die Regelungen zur Barrierefreiheit sind also im Rahmen der Bauordnungen föderal geregelt und in Teilen unterschiedlich auszulegen.
Was nun genau unter dem Begriff „Barrierefreiheit“ zu verstehen ist, definiert
§ 4 des Bundesgleichstellungsgesetzes: “Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.”

Normen sind nicht immer verbindlich!
DIN Normen können bei der Umsetzung von Barrierefreiheit eine wichtige Grundlage bilden. SIe bestimmen einen Mindeststandard und haben Kraft ihrer Entstehung, nd Anwendungsbereiche die Eigenart von Empfehlungen. Die Beachtung der Normen steht jedem frei, denn die Norm besitzt primär keine Rechtsverbindlichkeit.
In der Regel verhält sich der Planer schon “ordnungsgemäß”, wenn er einer Empfehlung (Norm) folgt. Die Norm, die immer von Fachgremien aufgestellt wird, gilt als anerkannte Regeln der Technik.
Normen können durchaus aber auch verbindlich werden, beispielsweise durch den Gesetz- und Verordnungsgeber über eine Bezugnahme in Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Oder durch Verträge, in denen ihre Einhaltung vereinbart wurde. Sie dienen auch der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe, z. B. des Begriffes “Stand der Technik” und erlangen dadurch rechtliche Bedeutung.
Die DIN 18040-1 (2011-10) und DIN 18040-2 (2012-09) sind die Planungsnormen für das Barrierefreies Bauen. Diese Normen ist in fast allen Bundesländern in der Liste der technischen Baubestimmungen aufgenommen worden.
für Planer ist es wichtig zu wissen, dass bestimmte Normen – je nach Bundesland – nur in bestimmten Teilen, sprich auszugsweise eingeführt wurden. Ebenfalls sei an dieser Stelle erwähnt, dass in einigen Bundesländern noch die alten Normen DIN 18024 und DIN 18025 derzeit aufgeführt sind.

Innenarchitekten sollten bei vertraglichen Vereinbarungen gemeinsam mit den Auftraggebern detailliert die Umsetzung einer barrierefreien Planung definieren, die Standards genau festlegen und bei Abweichungen entsprechende vertragliche Vereinbarungen treffen.

Vera Schmitz, BDIA Präsidentin
Erschienen AIT 3/2014