Ein A bis Z für die Innenarchitektur

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Für das erste Heft des neuen Jahres 2015 haben wir Begriffe entlang des Alphabets gesammelt, um die Komplexität und die Bandbreite zu verdeutlichen, die Ihre Arbeit als Innenarchitekten prägt. Von A wie Akustik bis Z wie Zeichnung… (ohne Anspruch auf Vollständigkeit – und inklusive Augenzwinkern).

A wie Akustik. Die Ohren sind ein Sinnesorgan, welches wir nicht ausschalten können. Akustische Signale landen direkt im Stammhirn und werden dort vom ältesten Teil unseres Gehirns weiterverarbeitet. Unser Gehör ist für das Überleben im paradiesischen Wald ausgerichtet. Innenarchitektur bietet einzigartiges Potenzial, das subjektive Empfinden in unserer zivilisatorischen Lärmhölle zu verbessern durch intelligente akustische Maßnahmen.

B wie Banause. „Ein Architekt kann als Banause in Ihren Diensten Ihre Ehe kaputtmachen – und übrigens jede Ehe –, indem er Ihnen täglich ganz unerwartete Ärgernisse beschert.“ warnte Richard Neutra seine Bauherren. Er selbst war sicher kein Banause. Die Haltbarkeit der Ehen seiner Bauherren ist leider nicht überliefert.

C wie Castingshow. Was wäre die Suche nach all den Superstars und Eintagsfliegen ohne die verführerische Ausstattung der Studios: Möbel glitzern zur richtigen Zeit, die Blicke gleiten punktgenau an Bühnenrändern entlang. Und Backstage bei Heidi Klum und Dieter Bohlen reicht es leider immer nur für Ikea-Sofas und Kissen. Schade, denn ein guter roher Holztisch würde vielleicht das eine oder andere Mütchen kühlen. Und wann erscheint endlich die erste Masterarbeit zur Mainstreamsehnsucht nach Dschungelambiente?

D wie Definition. Definitionen sind von großem Wert, um sicherzustellen, ob man das Gleiche meint. Definiere: Berufsbild Innenarchitektur – und schon haben wir den Schlamassel! 16 Architektengesetze äußern sich unterschiedlich zum Leistungsbild Innenarchitektur. Die Bundesarchitektenkammer hilft mit folgender Formulierung: „Berufsaufgabe der Innenarchitekten ist die gestaltende, technische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Planung von Innenräumen und den damit verbundenen baulichen Veränderungen von Gebäuden.“ So weit, so gut. Warum aber ist in einem südöstlichen Bundesland eine Gaube im Dach damit nicht gemeint und in einem anderen Bundesland sehr wohl? Mancherorts (Nordwest!) können sogar ganze Gebäude von Kopf bis Fuß erstellt werden!

E wie Energie. Die jährliche Sonneneinstrahlung, die auf eine Fläche der Größe Tunesiens fällt, wäre ausreichend zur Deckung des globalen Energiebedarfs. Doch wir können diese (noch) nicht nutzen und verteilen. Die Weltbevölkerung hat also zwei Möglichkeiten: 1. Energie einzusparen und 2. höhere Effizienzen und Wirkungsgrade durch Technologien anzustreben. Ein sehr sehr großes Thema für uns alle.

F wie Farben. Die Poesie folgender Definition nach DIN 5033 möchten wir nicht vorenthalten: „Farbe ist diejenige Gesichtsempfindung eines dem Auge des Menschen strukturlos erscheinenden Teiles des Gesichtsfeldes, durch die sich dieser Teil bei einäugiger Beobachtung mit unbewegtem Auge von einem gleichzeitig gesehenen, ebenfalls strukturlosen angrenzenden Bezirk allein unterscheiden kann.“

G wie Geheimnis. „Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle“, findet Albert Einstein.

H wie Hindernis. Hindernisse als Inspiration und Herausforderung zu begreifen ist eine Haltung, die wir im Alltag kontinuierlich pflegen sollten. Manche Hindernisse werden zum Glück durch Honorarzonen abgedeckt. Lassen Sie sich nicht vom Hindernis Komplexität abschrecken, sondern lassen Sie sich dafür bezahlen.

I wie Interior. In Deutschland: weit verbreiteter Begriff zur Beschreibung alles Inneren, gemeint ist „das Räumliche“. Als Anglizismus leichtverdaulich implementiert im Marketing-Sprachschatz der ausstattenden und gestaltenden Industrie. Im Ausland: unkomplizierter Begriff, der in Ergänzung zum „Architect“ und „Designer“ nicht nur die internationale Kollegenschaft benennt, sondern deutlich macht, dass „Interior“ überall ist – und gestaltet werden sollte: von Fachleuten!

J wie Jugend. In die Jugendzeit fallen die Pubertät, das Ende der Schulzeit, der Beginn der Berufsausbildung, die Abnabelung vom Elternhaus und die Identitätsfindung. Welch kostbare Zeit, um zu sensibilisieren. Leider investiert die Bundesrepublik mit nur 5% des Bruttoinlandprodukts weniger als andere Industrienationen in Bildung und Bildungsumgebung. Bitte mehr „Architektur macht Schule“ für die mündigen Bauherren der Zukunft!

K wie Kissenknicker. Der Beruf des Kissenknickers ist entgegen weitverbreiteter Annahmen nicht vom Aussterben bedroht. In den entsprechenden Hochschulen ist eine steigende Anzahl von Studierenden zu verzeichnen. Die Kunst des Drapierens, des Faltens und Platzierens hochkomplexer, gleichwohl weicher wie konsistenter, oftmals textiler Materie wird mittelfristig noch höhere Weihen erfahren, denn „chillen“ stellt nicht nur bei der jetzigen Generation den Löwenanteil im Alltagsverhalten dar. Und gechillt wird in der Regel auf Kissen.

L wie Lesbarkeit. Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät, ist es nchit witihcg in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid. Das ezniige was wcthiig ist, ist daß der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Wir leesn nciht jeedn Bstachuebn enzelin, snderon das Wrot als geznas. Dieses Konzept der Ganzheitlichkeit erklärt, übertragen auf die uns umgebenden Räume, weshalb wir ganzheitlich sinnvoll gestaltete Interiors schlicht wunderbar finden. Innenarchitektur sorgt nämlich für die Lesbarkeit von Räumen und Funktionen.

M wie Material. Alles ist Material. Material ist Werkstoff. Material hat Eigenschaften, eine Oberfläche, eine Farbe. Material hat Geschichte. Material ist technisch und kulturell mit Bedeutung aufgeladen. Material wird vergessen und wiederentdeckt. Material entsteht und wird verarbeitet. „Materialien der Zukunft“ sind Karbon und nachwachsende Kunststoffe. Ergebnisse aus dem Labor in industrielle Herstellungsprozesse zu transformieren, dauert Jahrzehnte. Innenarchitekten sollten sich als Forscher begreifen, denn die Innenarchitektur liefert entscheidende Impulse zur Entwicklung und Verwendung von Materialien.

N wie Nutzer. Wichtige Konstante im Planungsprozess oder Störenfried, der sein Fähnchen nach dem Wind hängt? Für die Qualität von Gebäuden und Innenräumen können Haltung und Engagement des Nutzers kriegsentscheidend sein. Ziehen Sie ihn auf Ihre Seite! Versorgen Sie ihn mit ihrem umfangreichen Wissen!

O wie Ordnung. Nach Ordnung strebt alles Handeln. Planen und Gestalten sowieso. Wer generiert schon absichtlich Chaos? Im Universum verhält es sich genau andersherum: mit jeder Sekunde erhöht sich unzweifelhaft und unaufhaltbar die Unordnung in unseren Galaxien. Seit dem Urknall transformiert sich die Materie und zerfällt, denn sie verliert Energie. Angesichts dieses Phänomens, der Entropie, relativiert sich vielleicht doch das eine oder andere Ordnungsstreben?

P wie Perspektive. Es zeugt von Persönlichkeit, wenn man unvoreingenommen verschiedene Standpunkte einnehmen kann, um die Dinge zu betrachten. Eine klare Perspektive ist Voraussetzung für nachvollziehbare Argumente und belastbare Kriterien: Wer Räume entwirft und umsetzt, setzt sich mit vielen verschiedenen Perspektiven auseinander, um die bestmögliche Lösung zu finden. Und unsere Köpfe sind rund, damit wir beim Denken die Richtung ändern können.

Q wie Querdenken. Nichts hat Innovationen so hervorgebracht wie das gute alte Querdenken. In Teambesprechungen mit Grundstimmung 5 vor 12! besonders beliebt: der querdenkende Kollege! Von ihm hört man Sätze wie „Könnte die Wand nicht selbst leuchten?“ oder „Warum kein Asphalt als Tischplatte?“ Fazit: Pflegen Sie auf alle Fälle das Querdenken in ihrem Leben.

R wie Risiko. Risiken unterteilen sich grundsätzlich in zwei Gruppen: die kalkulierbaren und die unkalkulierbaren. Risikobereitschaft schließt Fehler und Krisen mit ein und setzt deren Lösbarkeit voraus. Risikovermeidung kann lähmen und Ideenlosigkeit erzeugen. Es gibt keinen perfekten Zustand. Ob deren Vorhandensein nun Spaß erzeugt oder nicht: Risiken sollten immer auf mehrere Schultern verteilt sein. Und von der unkalkulierbaren Sorte sollte man sich besser fernhalten.

S wie Statik. „Eingriff in die Statik… ob der Innenarchitekt dies darf und kann? Lieber doch zum Hochbaukollegen gehen?“ Wir beantworten an dieser Stelle die Frage ein für alle mal: Ja! Er kann und er darf! Der Innenarchitekt wird nämlich, genau wie sein Hochbaukollege, einen Fachingenieur einbinden, um statisch wirksame Maßnahmen zu planen und durchzuführen. Keine Angst vor Durchbrüchen!

T wie Trophische Kaskade. Die Wiederansiedlung des Wolfes im Yellowstone Nationalpark führte dazu, dass sich Flussläufe veränderten: Der Wolf reduzierte die Hirsche, die weniger Jungbäume fraßen und die Wälder stabilisierten sich in kürzester Zeit. Insekten und Vögel vermehrten sich. Biber fanden genügend große Bäume, deren Dämme und Teiche beeinflussten positiv die biologische Vielfalt. Die Bodenerosion ging massiv zurück und ganze Flussläufe veränderten sich. We have a dream: Der Raum als „dritter Pädagoge“ steht von Anfang an in Kindergärten und Schulen jedem Kind in bester Qualität zur Verfügung. Eine Kaskade an positiven Entwicklungen hin zu selbstbestimmten und interessierten Heranwachsenden führt zu einer besseren Gesellschaft.

U wie Unterschied. Architekten entwickeln ihre Architektur ausgehend von der Stadt. Innenarchitekten entwickeln ihre Innenarchitektur ausgehend vom Menschen. Diese Herangehensweisen unterscheiden sich grundsätzlich und ergänzen sich ebenso selbstverständlich.

V wie Verband. Den BDIA gibt es nur, weil es SIE gibt: Innenarchitektinnen und Innenarchitekten und diejenigen, die es werden wollen. Verbände sind Interessensvertretungen. Verbände sind die Infrastruktur berufspolitischen Handelns und Teil unserer demokratischen Kultur. Nutzen Sie uns!

W wie Wettbewerb. Die grundsätzliche Bereitschaft zum Wettbewerb liegt in unseren Genen und ist tief in unser menschliches Wesen eingraviert. Innenarchitekten und Architekten scheinen von der Evolution besonders beschenkt: keine andere Spezies verfügt über mehr Einfallsreichtum und Ausdauer im Anbieten von Lösungen unter Aspekten der Vergleichbarkeit wie sie. In Wettbewerben sein Bestes zu geben, zeugt von Leidenschaft.

X wie Xanthippe. Das Funkeralphabeth ist eindeutig: Sokrates zänkische Ehefrau ist die ewige Platzhalterin für diesen Buchstaben. Wie Xanthippe wohl gewohnt hat? In kunstvoll ausgemalten Zimmern? Auf Schilfmatten schlafend? In jedem Falle ohne Latrine, denn der gut gefüllte Nachttopf, den sie in einem Wutanfall angeblich ihrem Gatten über den Kopf goss, weist eindeutig darauf hin.

Y wie Y-Modell. Dieses Ausbildungsmodell baut auf der gemeinsamen Basis von Architektur und Innenraum auf. Im Y-Modell beginnt das Studium mit drei gemeinsamen Semestern, in denen die Schnittmenge beider Disziplinen im Vordergrund steht. Nach dieser Grundausbildung erfolgt ab dem 4. Semester eine schrittweise Auffächerung der jeweiligen Disziplinen. Wir finden: umfassendes Wissen und gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen Schwerpunkte von Architektur und Innenarchitektur aus der Ausbildung heraus in die Berufspraxis zu übertragen, wäre ein wichtiges ergänzendes Ziel dieses Modells.

Z wie Zeichnung. Die ersten Zeichnungen stammen aus Höhlen, zu sehen sind erste Kringel und Striche. Heutzutage wird an Rechnern gezeichnet mit Hilfe von Nullen und Einsen. Entwerfer und Gestalter sind von den Möglichkeiten dieser zeichnerischen Kommunikation durchdrungen, haben diese verinnerlicht und bereichern unsere Welt beständig durch neue Beispiele der Abstraktion durch den schwarzen Strich. Die Kraft und Dichte einer Skizze kann unersetzlich sein. Wer zeichnen kann, braucht sich vor nichts zu fürchten.

Text: Cathrin Urbanek
Erschienen in der AIT 1/2 2015