Exkursionsbericht nach Tschechien zu TON im Mai 2016

„(S)Teamwork – Bend it or break it!“

Der Slogan des Unternehmens TON steht für die Ursprünge der traditionellen Bugholztechnik, deren Wiege nach wie vor im tschechischen Bystrice steht. Hierzulande im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten ist die Historie.

Ein guter Grund, das Wissen an Ort und Stelle aufzufrischen und der Einladung des neuen BDIA-Förderkreismitglieds TON zu folgen.

Am 5. Mai 2016 trafen zwölf Kolleginnen und Kollegen nach individueller Anreise aus allen Teilen Deutschlands zunächst in Brünn ein. Das sonnige Wetter lockte zu einem Rundgang in der teilweise gekonnt renovierten Altstadt.

Erste Station: Mies!

Komfortabel mit dem Kleinbus folgte die Fahrt zur Villa Tugendhat. Hier wurden die Teilnehmer offiziell herzlichst begrüsst durch Karel Wanke (München), Ante Bagaric (Berlin) und Jana Soukalova (München). Die folgende Führung hinterliess einen bleibenden Eindruck: die Villa gilt als ein Meisterwerk der klassischen modernen Architektur und ist der bedeutendste Bau Mies van der Rohes auf europäischem Boden. Erbaut Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhundert im Auftrag des Fabrikantenehepaars Grete und Fritz Tugendhat war sie der Familie mit drei Kindern vor ihrer Emigration nur sieben Jahre ein zuhause. Nach der Beschlagnahmung durch die Nazis 1938 fiel es 1945 in die Hände der Roten Armee, die nicht weniger Verwüstung anrichtete, auch wenn die die kriegsbedingten Schäden überschaubar geblieben waren. Bis in die 60er Jahre folgte die Nutzung als Anstalt für Heilgymnastik, bevor es zum nationalen Denkmal der Tschechoslowakei und 2001 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Die umfassenden Renovierungsarbeiten ab 1999 brachten die Perfektion des Entwurfes wieder zum Vorschein: Geld spielte beim Entwurf keine Rolle, Mies van der Rohe konnte finanziell aus dem Vollen schöpfen und seine ästhetischen Prinzipien zur Vollendung entwickeln. Dazu gehörte ein freier Grundriss, den Stahlskelettstützen ermöglichten, Wände aus Glas, zum Teil versenkbar, und raumbildende Elemente aus kostbaren Materialien wie Ebenholz und Onyx! Perfekte durchdetailliert wurde das Gebäude in Hanglage, gelegen in einem idyllischen parkähnlichen Garten zu einem Schlüsselwerk der Moderne.

Bei dem anschliessenden Spaziergang durch das Wohnviertel konnte so manche architektonische „Perle“ entdeckt werden, nicht zuletzt das Café, in dem sich die Teilnehmer für die Weiterfahrt nach Bystritz stärkten. Bei einem geselligen Abendessen mit tschechischen Spezialitäten wurden die ersten Eindrücke in heiterer Runde besprochen.

Holz aus Buchenwäldern

Nach der Übernachtung in einer idyllischen Pension wurde die Reisegruppe im Werk von TON. 1861 wurde in Bystritz am Hostein der Betrieb der Fabrik für Bugholzmöbel, heutzutage der ältesten Fabrik ihrer Art, aufgenommen. Ihr Gründer Michael Thonet, der ihr den Namen gab, wählte diesen Ort nicht zufälligerweise. Er war von Buchenwäldern umschlossen, die nicht nur ausreichend Material für die Herstellungsprozesse boten, sondern auch wesentliche Kosten für Transport oder Arbeitskräfte sparten. Ein bisher ungewöhnliches System der industriellen Arbeitsorganisation, bei der sich jeweils ein Arbeiter nur auf eine Arbeitstätigkeit konzentrierte und die unikale Technologie waren weitere Faktoren, die zur Senkung der Preise von Stühlen aus Bystritz und zu deren Expansion in die ganze Welt beitrugen. Bereits zehn Jahre nach der Gründung wurden hier täglich 300.000 Stück Bugholzmöbel jährlich, in 1912 sogar 445.000 Stück gefertigt, von fast 2.000 Arbeiter. Und die Familie Thonet kümmerte sich vorbildlich um ihre Arbeitnehmer. In Bystritz wurden Fachschulen für Möbelbearbeitung, Kindergärten oder zum Beispiel auch eine Fabrikkapelle gegründet. Die Familie unterstütze den Aufbau der Eisenbahn, baute Arbeiterhäuser und sogar ein Casino.

Nach dem ersten Weltkrieg, der sich an der schweren Lage in der Industrie negativ widerspiegelte, kam es in 1922 zur Verbindung der Fabrik mit der Aktiengesellschaft Kohn-Mundus und der Änderung des Namens auf THONET-MUNDUS. Der entstandene internationale Konzern funktionierte bis 1940. Bis Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er von einem Verwalter geführt, der von dem Reichsprotektor ernannt worden war. Durch eine Verordnung des Ministeriums für Industrie vom 7. März 1946 wurde er zum Nationalbetrieb THONET, der nachfolgend in 1953 auf TON umbenannt (auf Tschechisch heißt das die Abkürzung der Wörter Fabrik für Bugholzmöbel) wurde. Nach der Wende der politischen Situation in der damaligen Tschechoslowakei in 1989 wurde die Organisationsstruktur auf einen Staatsbetrieb geändert und seit dem Jahre 1994 funktioniert TON bereits als eine Aktiengesellschaft. Noch heute werden manuell Möbel gebogen und so hatten die Exkursionsteilnehmer selbst die Gelegenheit, dampfend heisse Hölzer unter dem Beifall der Kollegen und Kolleginnen im wahrsten Wortsinne mit Geschick und Muskelkraft in Form zu bringen. Der weitere Rundgang führte durch alle Abteilungen des Fertigungsprozesses, stets erläuternd begleitet von Herrn Karel Wanke und Ante Bagaric.

Möbeltesten im Showroom

Anschliessend folgte der Besuch des Showrooms in der Villa Thonet, die 1873 gebaut wurde als Reaktion auf den zweiten Großbrand der Möbelfabrik, bei welchem auch die von der Familie Thonet genutzten Wohnräume vollständig ausbrannten. Den Bau der neuen Familienresidenz im Park des Fabrikgeländes initiierten die beiden Söhne und Nachfolger von Michael Thonet, August und Jacob. Mehrere Zweige der Familie nutzten die Villa für Wohnzwecke bis in die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts. Im Jahre 2008 wurde das Bauwerk vollständig rekonstruiert, wobei es seine ursprüngliche Gestalt zurückerhielt und nun in neuem Glanz erstrahlt. Unter prächtigen Stuckdecken konnten bei einem willkommenen Mittagsimbiss die Sitzmöbel „getestet“ werden. Heute entwickelt TON ständig die einzigartigen Eigenschaften der Bugholztechnik weiter und vereint dies mit den zeitgemäßen Ideen von Designern. Tische und Stühle verbinden Qualität mit innovativer Formensprache und sind ein Vermächtnis des Ortes, der über Generationen gelernt hat Holz zu verstehen, mit einer Qualität auf höchstem Niveau und europäischen Normen entsprechend.

Zlín!

Als weiteres Highlight industrieller Architekturkultur wurde die Stadt Zlin in Zentralmähren besucht, welche untrennbar verbunden ist mit dem Gründer der Schuhfirma Tomas Bat´a!
Vor 140 Jahren geboren, prägte er das Gesicht der Stadt, die Trends der Schuhmacherindustrie und auch die Prinzipien des erfolgreichen Managements. 1894 gründete der junge Rebell mit seinen Geschwistern seine eigene Schuhmacherfirma, die innerhalb weniger Jahrzehnte auf vier Kontinenten Fuss fassen konnte. Er liess Arbeiterhäuser bauen, ebenso Filmateliers, die bald nicht nur Schuhwerbung produzierten, sondern in denen auch ganze Spielfilme gedreht wurden. Auch deshalb kann heute die Stadt Zlín regelmässig ein Filmfestival veranstalten. Nicht nur der grandiose Überblick über die Stadt vom Hochhaus 21, zu seiner Zeit das zweithöchste Gebäude Europas, liess die Besucher staunen: man fährt im Arbeitszimmer des Firmengründers nach oben – ca. 25 qm Aufzug mit kompletter Büroausstattung, einschliesslich Waschbecken und Klimaanlage – getreu dem Motto „Zeit ist Geld“ – sind auch heute noch eine Seltenheit, desgleichen ein mit Heiterkeit getesteter Paternoster! Der Visionär starb bei einem Flugzeugunfall 1932 mit 56 Jahren und hinterliess ein imposantes kulturelles Erbe, das heute wieder geschätzt, durch intensive Renovierungsarbeiten erhalten wird und lebendig bleibt

Weinprobe im Athen Mährens

Der weitere Fahrt führte in die Stadt Kromeriz (Kremsier), die zweifellos zu den schönsten Städten Tschechiens gehört und auch als „Athen Mährens“ bezeichnet wird. Prägend sind das erzbischöfliche Schloss mit imposanter Gemäldesammlung, der zugehörigen wunderbaren barocken Gartenanlage und einem historischen Stadtkern mit umlaufenden Arkadengängen und Bürgerhäusern aus unterschiedlichen Epochen, ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe. Die Weinprobe führte in die kühlen erzbischöflichen Kellergewölbe zur Verkostung, begleitet von einem üppigen Imbiss zum offiziellen Abschluss der Exkursion. Der „harte Kern“ der Gruppe liess den Abend gemütlich ausklingen und frühstückte am nächsten Morgen im Sonnenschein mit Blick auf dem Marktplatz. Der Vormittag bot Gelegenheit zur Besichtigung des Schlosses und des Parks, vor der Weiterreise nach Prag, mitten durch strahlend gelbe Rapsfelder, vorbei an in allen Nuancen von Weiss bis Rosé blühenden Obstbäumen in zartgrünen Wiesen.

Und zum Abschluss natürlich nach Prag!

Eine „Kür“, die sich lohnte: Prag, die Stadt der hundert Türme, UNESCO-Denkmal und eine der schönsten Städte der Welt. Nach den politisch bedingten „grauen“ Zeiten heute jung, bunt und voll pulsierenden Lebens inmitten wunderbar restaurierter Gebäude und auch imposanter Neubauten, wie etwa dem „Tanzenden Haus“, direkt am Ufer der Moldau erbaut 1990 nach dem Entwurf von Frank Gehry, das an die Filmfiguren Ginger & Fred“ erinnert. Ein abendlicher Spaziergang, vorbei am Kafka-Denkmal, der astronomischen Uhr und mit allerlei kurzen „Einblicken“ in stilvolle Hotels, Restaurants und Cafés machte Lust darauf, wieder zu kommen, denn für die ausserhalb gelegenen Burg, den Hradschin und den in Sichtweite befindlichen „Mini-Eiffelturm“ reichte die Zeit leider nicht, da spätestens am nächsten Morgen wieder die Heimreise angetreten wurde.

Für die Einladung und die perfekte Organisation sowie der Berücksichtigung ganz individueller Anreisewünsche zu dieser Reise, mit ihren unglaublich vielen neuen Einrücken, gilt der Dank dem Unternehmen TON und ganz besonders der persönlichen Engagement von Herrn Karel Wanke.

Falls Sie keine Gelegenheit hatten, an der Reise teilzunehmen, es gibt in diesem Jahr noch weitere Reisetermine. Ausserdem empfiehlt sich der Blick auf die Homepage www.ton.eu

PS. „Bend it or break it“ gilt nicht nur für Bugholz, sondern auch für Spaghetti: die Aufschrift prangte sozusagen augenzwinkernd auf der Verpackung des Gastgeschenkes für die Teilnehmen. Claudia Schütz, BDIA Vizepräsidentin

Fotos: Karel Wanke