Illustrare!
Der Begriff Architekturillustration ist aus dem Englischen übernommen und weist auf eine erklärende und künstlerische Überarbeitung hin, die weit über die Bezeichnung der Architekturzeichnung oder Architekturskizze hinausreicht. Das lateinische Wort „illustro/illustrare“ umschreibt es treffend mit „erleuchten, erhellen, erläutern, anschaulich machen“, aber auch „Glanz verleihen, verschönern, verherrlichen und preisen“.
Das genau ist es, was wir als Gestalterinnen und Gestalter mit einer Zeichnung bezwecken möchten: das Erklären ohne Worte und zugleich das Anpreisen. Schließlich wollen wir unseren Entwurf auch verkaufen. Das kann eine Wettbewerbszeichnung sein oder schlichtweg eine einfache Darstellung, die Kolleg*innen, Chef*innen oder Bauherr*innen überzeugen soll.
Akzeptanz des Unfertigen
Die Illustration hat dem photorealistischen Rendering einen entscheidenden Punkt voraus, denn der Betrachter akzeptiert ganz selbstverständlich weniger detailliert dargestellte Bereiche und sogar offengelassene Stellen.
Gerade bei konzeptionellen Darstellungen und im frühen Stadium eines Projekts sind viele Aspekte noch nicht bekannt oder sollen auch ganz bewusst zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Diskussion gestellt werden. Viele Innenarchitekt*innen sind sich der Problematik einer zu frühen Definition einzelner Elemente bewusst, deren Umsetzung sie später aus verschiedenen Gründen eventuell doch nicht nachkommen können. Somit wollen sie sich nicht zu früh mit deren Darstellung festlegen.
Auch im städtebaulichen Bereich ist es relevant, noch keine konkreten Aussagen über die Architektur zu machen, sondern die zeichnerische Betonung auf den Raum dazwischen zu legen, ohne aber das Bild unfertig erscheinen zu lassen.
Neben diesen strategischen Aspekten kommt auch noch ein psychologischer hinzu: Mit einer skizzenhaften Handzeichnung wird dem Betrachter quasi nebenbei vermittelt, dass noch nicht alles genau festgelegt ist und das Dargestellte als visuelle Diskussionsgrundlage dienen soll.
Die Zeichnung als Ergänzung zu Modell oder Rendering
Eine Architekturillustration nimmt in der entsprechenden Planungsphase ihren ganz eigenen Platz ein – nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu Renderings und Modellen. Sie kann ganz bewusst strategisch eingesetzt werden. Dieser Aspekt wird oft vergessen, vielleicht auch aus Zweifel am eigenen Können. Glücklicherweise tritt im Moment der allgemeine Zeitgeist des Imperfekten diesen Zweifeln entgegen. Das zeigt sich u.a. auf Youtube mit vielen individuellen und nicht immer brillanten Do-It-Yourself-Anleitungen sowie den Trends rund um Handcraft-Themen, die im Gegensatz zu Hochglanz und industrieller Perfektion stehen.
Das Schöne an der Illustration ist, dass die Genauigkeit kontrolliert eingesetzt werden kann: Soll etwas bewusst präzise dargestellt oder gezielt beleuchtet werden, verfeinern sich an dieser Stelle Strich und Detailgenauigkeit. Umgekehrt hat die Ungenauigkeit ihren Reiz: Sind die Dinge noch nicht bekannt oder sollen bewusst nicht ins Bild gerückt werden, kann der Strich an dieser Stelle flüchtiger gesetzt oder die Darstellung vager werden.
Die wechselnde Informationsdichte hat den willkommenen Effekt, dass zwar alles gezeigt, aber nichts wirklich festgelegt ist und sich dennoch alles wie selbstverständlich in das Gesamtbild fügt. Der Betrachter kann eine räumliche und architektonische Situation und auch eine bestimmte Atmosphäre erkennen. Diese zu kreieren und dem Bild noch eine kleine Geschichte hinzuzufügen, macht die Arbeit besonders reizvoll.
Gerade die Dominanz der photorealistischen Renderings erlaubt die Möglichkeit, neue Wege in der Architekturdarstellung einzuschlagen. Wir benötigen im Prinzip keine Übung mehr in naturgetreuer Perfektion oder technischer Fleißarbeit – wie es im Studium oft in „Darstellender Geometrie“ gelehrt wurde –, sondern können uns auf konzeptionelle Aussagen, Atmosphären und auch eine gewisse Poetik konzentrieren.
Wirtschaftlich arbeiten mit Bestandsbildern
Die Illustrationen können zudem auch auf einem einfachen Unterleger eines digital generierten Massenmodelles oder Bestandsfotos aufgesetzt werden. Das Arbeiten mit Unterlegern erlaubt es, sehr wirtschaftlich und auch in Arbeitsteilung arbeiten zu können.
Illustrationen werden oft für größere städtebauliche Projekte angefragt, in denen die Entwürfe verschiedener Planer zusammenfließen und das Gesamtbild in einem einheitlichen Duktus präsentiert werden soll. Hier kommen verschieden Arten von Unterlegern zusammen wie Massenmodelle, Handskizzen oder Streetview-Fotos. Oft müssen dabei Fassaden oder andere Details noch im Zeichenprozess erfunden werden und sich wie selbstverständlich einpassen – und manche verschwinden dabei auch hinter Bäumen. Das macht die Architekturillustration so spannend, immer wieder muss eine weiße Fläche gefüllt werden.
Sabine Heine, Architekturillustratorin und Architektin, lebt in Rotterdam.
Info unter www.sabineheine.com