“Wie Klassiker den Geschmack von Generationen prägen.” Constantin von Mirbach, BDIA, im Gespräch mit Samir Ayoub, designfunktion
Innenarchitekten kennen sie alle: den LC2, die “Ameise”, den Lounge Chair … Die Klassiker der Design-Geschichte begleiten schon die Studenten durchs Studium. Nicht wenige erfolgreiche Industrie- und Möbeldesigner waren im Hauptberuf selbst (Innen-)Architekten: Eileen Gray und Le Corbusier beispielsweise oder David Chipperfield, um nur einige zu nennen. Klassiker faszinieren durch eine besondere Qualität, die sich nicht leicht beschreiben, aber sehr leicht wahrnehmen lässt: Sie sind außerordentlich schön und funktional. Samir Ayoub, geschäftsführender Gesellschafter von designfunktion, ist von Klassikern regelrecht begeistert. Er widmet ihnen eine eigene Aktions-Reihe, die Klassiker-Serie. Zwei Ausgaben sind darin bereits erschienen: Eine zum LC2 von Le Corbusier, die zweite stellt den Stuhl 3107 von Arne Jacobsen ins Rampenlicht. Woher nehmen die Klassiker ihre prägende Kraft? Constantin von Mirbach, Bundesgeschäftsführer des BDIA Bund Deutscher Innenarchitekten, unterhält sich darüber mit Samir Ayoub.
Wie kam es zu diesem Gespräch?
Erfolgreiche Bauprojekte setzen gegenseitiges Verständnis zwischen Herstellern, Verarbeitern und Innenarchitekten voraus. Besonders Innenarchitekten sind als Spezialisten für den Innenraum auf umfassende Informationen angewiesen. Um diesen Wissenstransfer für eine nachhaltige Qualität in der Innenarchitektur dauerhaft zu etablieren und zu fördern, hat der BDIA 1989 den BDIA-Förderkreis gegründet, deren Unternehmen und Institutionen die Ziele des BDIA in besonderer Weise unterstützen. designfunktion ist seit 2011 Mitglied im BDIA-Förderkreis.
CVM: Woher kommt Ihre Leidenschaft für die Geschichte und die Bedeutung der Klassiker?
SAY: Wenn wir beraten, planen oder einrichten, versuchen wir immer, mehrere Ziele miteinander zu verbinden: Wir wollen im Dienst unserer Kunden anspruchsvolle Lösungen mit ausgezeichnetem Design anbieten. Jedes unserer Konzepte soll nachhaltig sein und sich lange Zeit bewähren. Das geht mit vielen Klassikern ganz hervorragend. Klassiker haben eine eigene Geschichte, mit der sie jeden Raum kulturell aufwerten. Ein Klassiker atmet geradezu Geschichte. Seine Entstehungszeit und seine Wirkungsgeschichte haben sich mit ihm unlösbar verbunden. Warum wir uns für Klassiker einsetzen? Weil wir sie lieben …
CVM: Der Architekt und Designer Arne Jacobsen hat zum Beispiel mit seinem Klassiker 3107 zahlreiche Stühle inspiriert, die ihm ähneln, aber keiner davon ist so gut wie das Original. Woran liegt das?
SAY: Das hat mindestens zwei Gründe, denke ich. Das Originaldesign ist in seiner stimmigen Formgebung, den ausgewogene Proportionen und dem Volumen schwer zu überbieten. Da ist etwas Geniales an dem taillierten Schwung dieses Stuhls, das sich nicht kopieren lässt, es sei denn, man würde es eins zu eins plagiieren. Und zweitens werden die Klassiker in der Regel mit viel Liebe aus sehr guten Materialien hergestellt. Den Lounge Chair von Charles und Ray Eames, um ein Beispiel zu nennen, stellt Vitra von Hand her. Beste Ledersorten und FSC-zertifizierte Furniere stehen zur Auswahl. So entsteht ein nachhaltiges Produkt, das den Ansprüchen seiner Schöpfer und seiner Besitzer wirklich gerecht wird.
CVM: Was muss eigentlich geschehen, damit aus einem Klassiker ein Sammlerstück wird?
SAY: Das ist ein wenig wie bei guten Büchern. Gesammelt werden am liebsten die Erstausgaben. Das waren bei Designer-Möbeln oft stark limitierte Kleinserien. Die sind schon aufgrund der Knappheit interessant für Sammler. Den 3107, von dem wir eben sprachen, können Sie aber auch sehr gut nach Farben sammeln. Letztes Jahr zur Orgatec brachte Fritz Hansen eine limitierte Sonderedition heraus. Sie ist noch bis Ende 2015 erhältlich. Dieses Jahr bietet ihn Fritz Hansen in neun vom dänischen Künstler Tal R ausgesuchten Farben an.
CVM: Die Gruppe der echten Sammler ist vermutlich überschaubar. Wo sollten wir auch Klassiker öfter zu sehen bekommen?
SAY: Zum Beispiel in öffentlichen Räumen. Welchen Grund gibt es, beispielsweise in Räumen, die allen zugänglich sind, geringere ästhetische Ansprüche als im Privaten zu haben? Ein mit Klassikern ausgestatteter Raum bekommt wie von selbst einen kulturellen Mehrwert, eine kulturelle Aussage, wenn Sie so wollen.
CVM: Bei der Gestaltung und Einrichtung gewerblicher oder öffentlicher Räume zählt vor allem Wirtschaftlichkeit und Effizienz. Weshalb sollten sich Innenarchitektinnen und Innenarchitekten mit Klassikern auseinandersetzen?
SAY: Weil sich hervorragendes Design auf lange Sicht rechnet. Ein Klassiker ist fantastisch verarbeitet und wird mit den Jahren immer ansehnlicher. Die Zeit kann ihm nichts anhaben, weil er an Bedeutung eher gewinnt, wenn er benutzt wird. Ein Klassiker ist nie aus der Mode oder fehl am Platz. Sie sparen sich neue Anschaffungen, beispielsweise bei Umzügen oder Umgestaltungen. Er schafft Vertrauen, weil er für Beständigkeit steht. Gleichzeitig ist er ein Symbol der Innovation. Viele Klassiker gehörten einmal zur Avantgarde. Gutes Design hat nachweislich einen positiven Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter. Eine intakte Unternehmenskultur im Raum, die motiviert und inspiriert, ist Gold wert. Klassiker können hier einen Beitrag leisten. Sie sind nicht zuletzt sehr wertbeständig. Auch das ist effizient.
CVM: Auch in der Architektur und Innenarchitektur geht es um Beständigkeit, die Realisierung von Räumen ist auf eine lange Lebensdauer ausgerichtet. Eine echte Gemeinsamkeit?
SAY: Allerdings. Klassische Architektur und klassische Möbel teilen dasselbe Ziel: eine qualitativ hochwertige Raumgestaltung. Beide Seiten übernehmen die gleiche Verantwortung für die Verbesserung der Lebensqualität.
Das Gespräch wurde im Juni 2015 geführt.