Wieviel smart ist eigentlich klug?

Wie bei allen Innovationen, die gesellschaftlich relevant sind, gilt es, die Vor-und Nachteile des Einzugs von immer mehr Technik in unseren Wohnräumen zu beurteilen. Die Kommunikation der Menschen mit den „Dingen“ ist sicher keine Eintagsfliege und wird uns mit zunehmender Dynamik die nächste Dekade begleiten. Die Automobilindustrie ist ein Vorreiter, wenn es um die intelligente Vernetzung von Informationen geht. In der Innenarchitektur wird diese Entwicklung aufgenommen und passende Ideen werden für das Wohnen weiterentwickelt.

Balance zwischen Kontrollverlust und Komfortgewinn

In der kritischen Auseinandersetzung mit der Technisierung unserer Lebensräume wird die Frage aufgeworfen, inwieweit der Anwender Selbstständigkeit aufgibt. Bei diesem Vorbehalt schwingt Zivilisationskritik mit. Die Befürchtung ist so alt wie die Zivilisation selbst. Die Balance zwischen Kontrollverlust und Komfortgewinn muss jeder selbst finden, doch wird das den allgemeinen Trend zur vernetzten Steuerung nicht aufhalten. Die Energie, die wir für die Kontrolle über unsere Lebensabläufe aufwenden mussten, steht nun, da  Sensoren und Stellmechanismen diese Abläufe optimieren, zur freien Verfügung. Wir als Innenarchitekten stehen für die optimierte
Gestaltung von Lebensabläufen und damit ist keine prozessoptimierte, industrielle Gestaltung gemeint. Optimal für den Menschen ist ein sensoriell erfassbarer Erlebnisraum, in dem die Funktion des Raumes und die menschlichen Fähigkeiten bestmöglich in  Übereinstimmung gebracht werden. Dies könnte als Regel für alle Räume gelten, in denen Menschen agieren und interagieren.

Vernetzung mit Weltwissen

Vielfach ist das Wort Smart in Smart Home, oder auch in Smart Office ein Synonym für schalterlose Vorgänge, das bedeutet z.B. Beleuchtung an- und auszuschalten mit dem Smartphone. Wirklich smart wird eine Anwendung aber erst, wenn ein Ding sich mit dem Wissen der Welt vernetzt, um Schaltvorgänge zu optimieren, also wenn der Stellmotor des Thermostatventils den Supercomputer des
Deutschen Wetterdienstes befragt, wie das Wetter wird, um dann die perfekte Temperatur im Raum zu erzeugen. Ein wunderbares Beispiel für einen sehr ausgewogenen Einsatz von Technik im Zusammenspiel mit natürlichen Baustoffen ist ein Bürogebäude von Baumschlager + Eberle in Lustenau. Die Architekten machen ihren Bau intelligent, „smart“ mit Sensortechnik und eigenen Regelkreisen, um aktiv auf die Prozesse der umgebenden Natur reagieren zu können. Für die Nutzer wird so das beste Raumerlebnis erzeugt und das Gebäude kann seine Funktion perfekt erfüllen. Das Versprechen der Technikanbieter auf ein intelligentes Gebäude, wird erst dann erfüllt, wenn auch intelligent geplant wird.

René Pier, Innenarchitekt und Landevorsitzender Baden-Würtemberg
Der Artikel ist erschienen in der AIT September 2016.