„Wir könnten es auch positiv sehen – Chancen und Risiken des Building Information Modeling.” von Prof. Sebastian Zoeppritz

Wann immer Großprojekte preislich oder terminlich aus dem Ruder laufen, werden gerne die Architekten zu Schuldigen erklärt – und dann wird nach neuen Allheilmitteln gesucht. Hat man vor wenigen Jahren noch die Lösung in Öffentlich Privater Partnerschaft (ÖPP) gesucht, wurde zuletzt im Zuge der Reformkommission ‘Bau von Großprojekten’ beim damaligen Bauministerium das Building Information Modeling (BIM) hochgehalten.Architekten sollten sich mit der Methode BIM auseinandersetzen und Vor- und Nachteile nüchtern ausloten.

BIM: Drei Ansätze – und eine Hoffnung

Worum geht es? Im CAD wird herkömmlich in Linien gedacht. Das kommt unserem Verständnis des Zeichnens nahe und unserer Herangehensweise der schrittweisen Konkretisierung. Es ist aber mit einem gewissen Speicherbedarf in der EDV verbunden. Wenn man stattdessen in Körpern denkt, benötigt dies weniger Speicherplatz. Dieser Weg ist eine Fortsetzung des Weges von der Pixelgrafik, die jeden Punkt einer Linie definieren muss über die Vektorgrafik, die eine Linie alleine über ihre Endpunkte definiert verbunden mit der Information, dass alle zwischen den Enden liegenden Punkte zu dieser Linie gehören. Diese Art der Vereinfachung ist ein Grundgedanke von BIM.

Ein zweiter Ansatz ist die Verknüpfung aller Planungselemente mit Informationen über deren Eigenschaften und Attribute. Landschaftsarchitekten und Stadtplaner kennen den Gedanken aus den Geoinformationssystemen GIS, welche Flächen mit Attributen verknüpft: Flächennutzung real, Flächennutzung planungsrechtlich, Bodengüte, Bodenbeschaffenheit, Bewuchs etc. Komplexe Informationen sind dann leicht abrufbar, wenn über die Fläche (das Element) entschieden werden soll.

Ein weiteres Charakteristikum aus der amerikanischen Praxis bei der Planung größerer Projekte: Die Planung muss vor Baubeginn fertig sein – bis ins Detail. Dies kostet zwar Gesamtzeit bis zum Baubeginn, weil Planung und Ausführung sich zeitlich nicht mehr überlappen können. Aber es leuchtet unmittelbar ein, dass dadurch Änderungs- und Anpassungsplanungen minimiert werden. BIM zwingt den Bauherren zur Geduld bis zum Ausführungsbeginn, und es zwingt die Architekten zu Stringenz und Entscheidungsfreudigkeit im Planungsprozess. Änderungen am bereits Gebauten mit dem damit verbundenen Kosten werden weniger Es nimmt allerdings Bauherren und Architekten die Chance, baubegleitend zu planen, zu entscheiden. Das bereits Erstellte bietet oft bessere Entscheidungsgrundlagen als die besten 3D-Darstellungen, Modelle oder Animationen.

Das Potenzial liegt vor allem in der Verbesserung von Informationsflüssen. Mit BIM können alle am Projekt beteiligten Planer auf ein digitales Modell zugreifen, um alle Abstimmungen und Änderungen während der Planung in Echtzeit aktuell austauschen zu können. Dazu werden in der Praxis Teilmodelle oder Eingriffsrechte für autorisierte Verfasser definiert. So werden in der zusammengeführten 3D-Darstellung im Modell die Konflikte z.B. in Leitungsführungen oder im statischen System leichter ersichtlich. Derartige Kollisionskontrollen werden Routine.

Gefahren und Risiken

Diesen Chancen sind die Risiken gegenüberzustellen, die mit der Anwendung speziell für uns Architekten verbunden sind.

Zu früh könnte im Planungsprozess erwartet werden, dass alle Informationen bereits vorhanden und alle Fragen bereits entschieden sind, insbesondere die kostenrelevanten. Eine Forderung nach präziser Darstellung kann zu einer Scheingenauigkeit führen und eine Konkretisierung über versuchsweises Vorgehen ist nicht mehr möglich. Das Ziel, die gesamte Planung vor Baubeginn abgeschlossen zu haben, führt zu mehr Zeitdruck beim Planen und zu weniger Raum für die Prüfung von Alternativen.

Die Protagonisten des BIM stammen aus dem Bauingeneurswesen und aus der Bauindustrie. Dort ist das Verständnis für das architektonische Denken in Alternativen, über eine schrittweise Verfeinerung von Konzepten und über nichtlineare Entscheidungsabläufe nicht vergleichbar ausgeprägt.

Die Aussage, der Vorentwurf hätte dank BIM bereits eine hohe Kostengenauigkeit, unterliegt einem Denkfehler. Entweder handelt es sich dann eben nicht mehr um einen Vorentwurf, weil schon vieles festgelegt wurde, oder es ist noch nicht kostengenau, weil die Einzelentscheidungen im Vorentwurf mangels Planungstiefe noch nicht fix sind

Die Ausrichtung der HOAI an Leistungsphasen wäre zu überdenken, wenn mit frühen Leistungsphasen (wie z.B. dem Vorentwurf) der Aufwand für Datenerfassung, Präzision Koordinationaufwand erheblich steigt. Ungeklärt sind derzeit auch Fragen der Berufshaftung und der Zuordnung der Verantwortung auf die verschiedenen Beteiligten.
Dass derzeit die Zusammenstellung von Architekten- und Fachplanerteams für eine routinierte Arbeit mit BIM mühsam und nicht immer erfolgreich ist, sollte nicht als Problem der Methode, sondern als Problem der Einführungsphase gesehen werden.

Entwicklung

CAD wird sich dahingehend entwickeln, räumliche Darstellungen verschiedener Verfasser in ein Modell zu integrieren. Die Vereinfachungen für die Bauindustrie und für diejenigen Bauherren, die schon an ihr zukünftiges Facility-Management denken, erzeugen einen erhöhten Druck für eine Einführung von BIM..

Der Abschluss aller Planungen vor Baubeginn bedeutet, dass Bauherren sich hinsichtlich ihres Dranges zur schnellen Bauumsetzung zurückhalten müssen. Das scheint nicht naheliegend.

Zusammenfassung

Es gibt Vor- und Nachteile bei BIM, ähnlich wie bei der Einführung des CAD: BIM ist praktisch, aber aufwändig, und es wird der allmähliche, stufenweise, iterative Prozess des Reifens der Entscheidungen und ihrer Verfeinerungen und Verfestigungen durch die Erwartung bedroht, dass frühzeitig alles bekannt sein könnte und damit auch sein müsste. Zu frühe Planungsangaben sind aber nur scheingenau, weil nicht hinreichend abgestimmt und durchdacht.

Architekten müssen sich darauf einstellen, dass BIM an Bedeutung gewinnt. Und dabei ihre Sicht der Gefahren und Notwendigkeiten proaktiv einbringen. Sie müssen für die komplexen Entscheidungswege mit Alternativendiskussion, Abstimmungen und Rückkoppelungen werben, wie sie den heutigen Bauaufgaben angemessen sind und wie sie allein Garanten für das Entstehen von Baukultur sind, welche immer auch Planungskultur voraussetzt. Wie sie auch, richtig angewandt, mit BIM möglich sein kann.

Prof. Sebastian Zoeppritz
Gekürzte Fassung eines Artikels aus dem DAB Regionalteil Baden-Württemberg vom November 2014