Gesundheit ist unser höchstes Gut – und sie wird im Krankheitsfall nicht allein durch Medikamente oder medizinische Eingriffe wieder hergestellt, sondern: Immer deutlicher zeigt sich, dass Räume selbst zu aktiven Mitspielern im Heilungsprozess werden können. Und welch große Rolle die Innenarchitektur dabei übernehmen kann.
Ein Beitrag von Charleen Grigo (zuerst erschienen in der AIT 11/2025)
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist darauf hin, dass wir 90 Prozent unseres Lebens in Innenräumen verbringen – Patient*innen und Fachkräfte in Kliniken oftmals sogar darüber hinaus nahezu ihre gesamte Zeit. Innenarchitektur prägt damit entscheidend, wie gesund wir leben, arbeiten und genesen. Oder, wie Arthur Schopenhauer es formulierte: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“
Der Gedanke, dass die Umgebung Heilung beeinflusst, geht zurück auf Roger Ulrichs bahnbrechende Studie aus dem Jahr 1984. Er konnte zeigen, dass Patient*innen nach Operationen schneller gesundeten und weniger Schmerzmittel benötigten, wenn sie aus dem Fenster ins Grüne blickten im Vergleich zu jenen, die nur auf eine Ziegelwand schauten. Damit war der Grundstein für den Megatrend „Healing Architecture“ gelegt: Tageslicht, Naturbezug, Ausblicke, natürliche Belüftung und biophile Gestaltungselemente wurden seither zu zentralen Faktoren der gesundheitsfördernden Architektur. Doch die Realität in vielen Kliniken zeigt: Nicht immer lässt sich ausreichend Tageslicht realisieren, gerade in hochtechnisierten Bereichen, wie z. B. OP-Sälen, den Aufwach- oder Warteräumen. Hier sind kreative Antworten gefragt, etwa durch biodynamisches Licht, das den natürlichen Tagesverlauf simuliert und nachweislich Schlafqualität, Stimmung und Regeneration verbessert.
Neben den Patient*innen gilt es auch, das Personal in den Blick zu nehmen. Ärzt*innen und Pflegekräfte arbeiten unter enormem Druck, häufig über 24 Stunden hinweg, mit wenigen Pausen. Studien belegen, dass fehlende oder ungestaltete Erholungsräume, schlechte Akustik oder ineffiziente Wegeführungen den Stress steigern und sich direkt auf Gesundheit, Motivation und Mitarbeiterbindung auswirken. In vielen Stationen führen lange Flure und abgeschottete Einzelbüros dazu, dass Assistenzärzt*innen keine schnelle Rücksprache mit Vorgesetzten halten können. Das erschwert Entscheidungen, führt zu Doppeluntersuchungen und verstärkt das Gefühl, mit den Belastungen allein zu sein – ein Faktor, der Burnout und Fluktuation befördert. Lärm ist dabei ein besonders unterschätzter Stressor. Während die WHO für Stationen tagsüber maximal 35 dB empfiehlt, liegt der Durchschnitt bei rund 57 dB. Viele Geräte überschreiten sogar 65 dB, ein Bereich, der das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht und langfristig krank macht. Die Innenarchitektur hat hier eine Schlüsselrolle: Mit optimierten Grundrissen, schallabsorbierenden Materielien und neuen Alarmkonzepten lassen sich Belastungen spürbar senken.
Doch Heilung und Gesundheit entstehen nicht allein durch die Reduktion von Stressoren. Multisensorisches Planen erweitert die klassischen Prinzipien von Healing Architecture und berücksichtigt die Psychophysiologie des Menschen. Unsere Sinne arbeiten ununterbrochen – auch wenn wir die Augen schließen, bleiben Gehör, Geruchssinn und Tastsinn aktiv. Auch hier zeigen Studien wieder, dass Düfte wie Lavendel oder Orange Angst und Stress in medizinischen Situationen messbar reduzieren. Akustische Reize wie Weißrauschen können Schmerzen lindern, während warme, weiche Materialien Nähe und Vertrauen fördern. Innenarchitektur, die alle Sinne anspricht, stärkt damit nicht nur die Resilienz von Patient*innen, sondern auch die Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit der Mitarbeitenden.
Gesunde Arbeitswelten und patientenfreundliche Umgebungen sind zwei Seiten derselben Medaille. Wo Fachkräfte in gut gestalteten Räumen arbeiten, sinken Fehlzeiten und steigt die Motivation. Eine Studie von Buether & Wöbker (2019) an der Uniklinik Wuppertal zeigte, dass durch gezielte Veränderungen von Licht- und Farbkonzepten auf einer Intensivstation die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Personals innerhalb eines Jahres um 35 Prozent reduziert werden konnten. Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass Investitionen in Innenarchitektur nicht nur dem Wohlbefinden dienen, sondern auch handfeste wirtschaftliche Effekte haben. Gleichzeitig profitieren Patient*innen, weil sie weniger Komplikationen, kürzere Liegezeiten und eine höhere Zufriedenheit erleben – ein direkter Beweis dafür, dass Innenarchitektur Heilung messbar unterstützt.
Am Ende zeigt sich, dass Innenarchitektur weit mehr als die „ästhetische Hülle“ ist. Sie wirkt wie ein unsichtbares Medikament, ohne Nebenwirkungen, dafür mit unmittelbarer Wirkung auf Körper und Geist. Gerade im Krankenhaus, wo Gesundheit entsteht, ist sie unverzichtbar. Doch die Prinzipien von Healing Architecture und multisensorischem Planen reichen weit über das Gesundheitswesen hinaus. In Schulen, in Büros oder in unseren Wohnräumen, überall dort, wo wir uns aufhalten, können Räume unsere Resilienz stärken und unser Wohlbefinden fördern. Innenarchitektur ist damit nicht nur eine gestalterische, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.
Wer die Gesundheit von morgen sichern will, muss heute beginnen, Räume als Medizin zu denken.

Biophilic Design, wohnliche Materialien, optimierte Akustik und viel Stauraum.
Die Bilder zeigen die Visualisierung eines Raumes, der Patient*innen stärkt und Fachkräfte entlastet.
(Visualisierung: Office of Healing Architecture)
Charleen Grigo ist Gründerin des Office of Healing Architecture und Expertin für Gesundheitsarchitektur. Als Innenarchitektin bdia AKNW und Vorsitzende des bdia NRW beschäftigt sie sich mit Healing Architecture, Psychophysiologie und New Work. Ihr evidenzbasierter und nachhaltiger Ansatz stellt den Menschen in den Mittelpunkt der Raumgestaltung. Als Keynote-Speakerin und Impulsgeberin teilt sie ihr Wissen und inspiriert dazu, Räume gesundheitsfördernder zu gestalten.
