Nachhaltig planen

Nachhaltigkeit, ein Thema was in unserer Branche kaum noch weg zu denken ist. Immer mehr Auftraggeber:innen fordern nachhaltiges planen, doch was bedeutet das für uns in unserem Berufsalltag? Hierzu sprach ich mit Prof. Sabine Keggenhoff von KEGGENHOFF | PARTNER, die sich in ihrem Büro seit vielen Jahren mit diesem Gebiet theoretisch und praktisch auseinandersetzt.

Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?

Sabine Keggenhoff: „2023 ist ‚Nachhaltigkeit‘ für mich nicht mehr nur ein Begriff, oder vielmehr, eine wohlwollend abgesteckte Zielformulierung in der Umsetzung eines Projektes. Aus der Perspektive einer Architektin und Innenarchitektin, aber auch meiner ganz privaten, bedeutet es für mich: Paradigmenwechsel. Ganzheitlicher, gesellschaftlicher Paradigmenwechsel. Und: Die Anerkennung der Verantwortung, die wir tragen – kollektiv und individuell.

‚Nachhaltigkeit‘ umfasst dabei nicht die eine Antwort. Viele Wege führen in die Zukunft. Ich verstehe ,Nachhaltigkeit’ eher als einen analysierenden und selektierenden, gleichzeitig innovationsbringenden Prozess.

Ich habe vor geraumer Zeit einen Artikel gelesen, in dem ‚Nachhaltigkeit‘ als ein fahrender Zug ohne Endstation beschrieben wurde. Die Beschreibung ist sehr trefflich, gerade auch, weil der Vergleich simultan das große Spannungsfeld von ‚Lösung‘ und ‚die unendliche Suche danach‘ beinhaltet.“

Wie verändert der Nachhaltigkeitsgedanke unseren Arbeitsalltag?

Sabine Keggenhoff: „Anders als in der Architektur ist der Nachhaltigkeitsgedanke in der Innenarchitektur weniger neu als seit einigen Jahren medial kommuniziert. ‚Nachhaltigkeit‘ liegt gewissermaßen in der DNA der Disziplin. Führen wir uns einmal das ganz klassische Tätigkeitsfeld der Innenarchitekt:innen ‚Bauen im Bestand‘ vor Augen. In Ausbildung und Praxis haben wir gelernt, Räume in Relation zu seinen Nutzer:innen nachhaltig zu entwickeln; atmosphärisch, individualisiert, zeitlos, identitätsstiftend. Konzeptionen von Dauer, die jedoch nie für die Ewigkeit entwickelt wurden. Mit Varianz, Veränderbarkeit und Adaptivität treten sie der „gebauten Ewigkeit“ entgegen. Möglich ist das, weil wir uns mit unserem innenarchitektonischen Maßstab immer auf den Menschen beziehen und die Frage, wie wir leben wollen. Die Frage der Stunde. Liegt in ihr doch gesellschaftlicher Wandel, Paradigmenwechsel und Varianz eben – das Gebot unserer Zeit.

Neben dieser eher theoretischen Betrachtungsweise, gibt es ohne Frage auch funktionale Aspekte im beruflichen Alltag, die mit Blick auf den Nachhaltigkeitsgedanken immer wichtiger geworden sind. KEGGENHOFF | PARTNER setzt sich intern schon lange intensiv auseinander mit der Haltung, das Thema bei jedem Projekt – bereits in der Leistungsphase Null bzw. während der Grundlagenermittlung – voranzustellen.

Ich denke an die Verortung und Verankerung des Blickwinkels in planerischen, aber auch organisatorischen Prozessen, wie z.B. das visionäre papierlose Büro, eine Überprüfung der Materialbibliothek, kontinuierliche, eigene Weiterbildungen, die Schulung von Mitarbeiter:innen, die Förderung von Austausch zwischen den Disziplinen und Gewerken, die beständige Aktivierung und Kommunikation von Pioniergeist und Risikobereitschaft, „thinking out of the box“ in Richtung unserer Auftraggeber:innen, die Etablierung der Planungsphase Null, Recherche, Recherche, Recherche.“

Welche Chancen ergeben sich durch nachhaltiges Bauen und planen?

Sabine Keggenhoff: „Wir befinden uns in einer Übergangsphase: das Wissen um die Notwendigkeit ist vorhanden, die Widerstände zuweilen noch abbaubar. Gesellschaftliche und politische Mühlen, die Rahmenbedingungen verändern, mahlen langsam. In der Zwischenzeit braucht es Wegbereiter:innen, die Investition von Ressourcen und Durchhaltevermögen möglichst vieler. Im Neubau, aber vor allem auch in der Aufwertung der Wiedernutzbarmachung der bestehenden Substanz in unserer gebauten Umwelt. Es braucht mehr und mehr Best-practice-Beispiele – jenseits von sog. Leuchtturmprojekten – die neue Machbarkeiten abbilden und neue Ästhetiken beispielhaft definieren. Die Chance, viel mehr das Ziel: Nachhaltiges Planen und Bauen wird zum neuen ‚Normal’ der Planungspraxis.“

Welche Herausforderungen gibt es, Ihrer Meinung nach für uns Innenarchitekten wenn wir nachhaltig planen wollen?

Sabine Keggenhoff: „Typisch für einen Paradigmenwechsel: Herausforderungen gibt es zahlreich. Und das auf den unterschiedlichsten Ebenen. Es gibt gewaltige Probleme, aber auch innovative Lösungen.

Betrachten wir einmal unterschiedliche Bürostrukturen innerhalb der Fachdisziplin der Innenarchitektur. Die Umsetzbarkeit nachhaltiger Entwurfs- oder Ausbauprozesse hat aktuell viel mit Ressourcen zu tun. Größere Bürostrukturen können dies oft besser und effizienter auffangen, denn Nachhaltigkeit kostet. Neben Geld, natürlich auch sehr viel Zeit z.B. in Bezug zu Recherche, aber auch der Bewertung von Rechercheoptionen und -ergebnissen. Vieles ist in Bewegung. Immer gibt es Vor- und Nachteile, Abwägeprozesse im Entwurf, die wiederum Aufwand bedeuten. Es ist nicht alles grün, was augenscheinlich „glänzt“. Greenwashing verlässlich zu identifizieren, weg von Makulaturen – stellt sich mir definitiv als eine bedeutende Herausforderung dar. Es braucht ein Umdenken hinsichtlich wirklich sinnvoller Projekt- und Materialcollagen, die nach wie vor Identität und Individualisierung berücksichtigen und möglich machen. Plakative Öko-Architektur kann nicht mehr das Ziel sein, zu performativ.“

Ist nachhaltig Bauen automatisch teurer?

Sabine Keggenhoff: „Aktuell spiegelt das unsere Erfahrung wieder.“

Wird Nachhaltigkeit von den Kunden heutzutage mehr gefordert und gewünscht oder ist Nachhaltigkeit heute bei den Bauherren schon eine Selbstverständlichkeit?

Sabine Keggenhoff: „Die Suche nach für den Menschen „gesunden“ Räumen lässt sich bereits lange beobachten. Jetzt geht es einen Schritt weiter und das „gesund“ wird umfassender – also auch z.B. auf ökologische und soziale Parameter – bezogen. Unser Büro macht die Erfahrung, dass uns durch das kollektive Bewusstsein um den Themenkomplex ‚Nachhaltigkeit‘ in der Baubranche, aufgeklärte, positiv-kritische Auftraggeber:innen gegenübersitzen.

Mit unseren Auftraggeber:innen nutzen wir aktiv die Möglichkeit, Bestrebungen gemeinsam zu vertiefen. Insbesondere unser Klientel im privaten Bereich ist generell an gesellschaftlichem Handeln und gesellschaftlicher Verantwortung (übernehmen) interessiert ist – auch finanziell. Der:die eine muss wollen, der:die andere muss können. Es geht auf jeden Fall nur gemeinsam; nur Seite an Seite.“

Welche Auftraggeber:innenfragen müssen Sie immer wieder beantworten, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht?

Sabine Keggenhoff: „Unsere Auftraggeber:innen denken oft zuerst an den Einsatz von Materialien; das schon im Entwurfsprozess. Gemeinsam reflektieren und klären wir dann die Frage nach dem Genius Loci und der Angemessenheit, „wagen“ gemeinsam den zweiten Blick in Punkto Nachhaltigkeit jenseits des vermeintlich offensichtlichen. Ist Holzbauweise hier angemessen? Eignet sich hier Lehmputz oder bedingen die Standortfaktoren doch eine Alternative? Von welchen Monomaterialien, Verbindungsmöglichkeiten und Lebenszyklen und Lieferketten sprechen wir? Cradle-to-Cradle?

Im Entwurfsprozess überprüfen wir aber natürlich nicht nur Materialitäten, sondern gemeinsam allem vorangehend die Zielperspektiven unserer Auftraggeber:innen, die letztlich das Raumprogramm und -volumina sowie die gestalterische Atmosphären und handwerklichen Qualitäten in erster Linie definieren.“

Müssten sich grundlegende Dinge in unserer Branche ändern, damit wir wirklich nachhaltig planen können?

Sabine Keggenhoff: „(Baukulturelle) Bildung, Gesellschaft, Politik und damit einhergehend unser Werteverständnis, müssen sich grundlegend wandeln. Als Branche agieren wir nicht systemisch losgelöst. Damit möchte ich weder den Diskurs noch die Verantwortung umlenken; ansonsten betreiben wir als Branche aber hauptsächlich Symptombekämpfung.

Ich glaube an Synergieeffekte verschiedener Branchen bei übergeordneter Veränderung. Die Komplexität die darin liegt, stellt eine eigene Herausforderung für sich dar. Sie macht aber auch das lösungsorientierte und innovative Potenzial unserer Zeit, unserer Zukunft, an den Schnittstellen aus.“

Frau Keggenhoff, vielen Dank für Ihre Zeit, das ausführliche Gespräch und die interessanten Einblicke hinter die Kulissen des nachhaltigen Planens.

Sie haben Rückfragen zu diesem Thema? Wenden Sie sich gern an Frau Keggenhoff (www.keggenhoff.de) oder schreiben Sie mir unter kolumne@bdia.de

Charleen Grigo